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Happy end oder Mogelpackung?

Von Dr. med. Gabriele Fetzer,Hausärztin an der Lenk

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Mit grosser Erleichterung haben wohl alle Betroffenen den Entscheid zum Erhalt des Spitalstandortes Zweisimmen vernommen. Zum Teil euphorisch und medienwirksam haben STS AG, MeGSS, einige politische Vertreter und Fachexperten in einer Pressekonferenz und Pressemitteilung dazu Stellung genommen.

Der Entscheid steht laut Medienmitteilung «ganz in der Tradition der Spital STS AG, die für ihre Innovationskraft weit herum bekannt ist» (Dr. jur. Thomas Bähler, Verwaltungspräsident STS AG). Gut, dass das noch einmal gesagt wurde, ansonsten hätte man in der Vergangenheit doch tatsächlich einen anderen Eindruck gewinnen können, zumindest was die Innovationskraft in der Region Simmental/Saanenland betrifft. Wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, hat es an «Neuerungen» an sich ja nicht gefehlt. Von Spitalneubau auf sumpfiger Wiese ohne vorhandene Zuwegung, für den ich mich damals leider auch einmal wegen der angedrohten «Null-Lösung» und im Sinne eines einheitlichen Ärztevotums ausgesprochen hatte (man lernt hoffentlich dazu), über Tagesspital, ausschliesslich ambulante Versorgung bis hin zur Spitalschliessung war an Vorschlägen und Projekten inzwischen alles dabei.

Letztlich haben aber wohl klare Vorgaben bzgl. des als Versorgungsnotwendig eingestuften Spitals zum Sinneswandel und vorliegenden Projekt geführt (Siehe Medienmitteilung Kanton Bern, Gesundheits- und Fürsorgedirektion, vom 27.06.2013). Wie Fabian Kopp in seinem hervorragend analysierenden Leitartikel, der in allen Punkten zu unterstützen ist, erwähnt hat, wird hier «kein Geschenk an die Bevölkerung gemacht», sondern eine zwingend notwendige Investition getätigt (Simmental Zeitung Nr. 26 vom 26. Juni 2014).

Bei so viel Eigenlob der STS AG dürfen kritische Bemerkungen einer Hausärztin erlaubt sein.

Beim genauen Lesen der Medienmitteilung ist vom Bau eines Operationssaales die Rede, nicht von Operationssälen. Das kann nur eine wesentliche Schrumpfung des chirurgischen Angebotes nach sich ziehen. Gleichzeitig soll die Bettenzahl noch mehr reduziert werden. Das Ganze heisst dann «eine auf die Bedürfnisse der Region fokussierte Chirurgie». Es steht zu befürchten, dass allein mit Blinddärmen und Operationen von 8 bis 18 Uhr hochqualifizierte Chirurgie und Chirurgen! nicht zu halten sind. Wie soll das gehen, wenn auch noch die Gynäkologen OP-Kapazitäten beanspruchen? Bedeutet dies lange Wartezeiten auf geplante Eingriffe (und welche werden dann überhaupt noch durchgeführt?) oder doch allmähliche und stillschweigende Verlagerung ins Spital Thun? Können in der Wintersaison die Unfallpatienten noch zeitgerecht versorgt werden? Ein Ausbau des Leistungsangebotes, wie es eine 30-Millionen-Investition erwarten liesse, sieht vermutlich anders aus. Wie viel von den zur Verfügung gestellten Geldern in die eigentliche Spitalversorgung fliessen wird, bleibt abzuwarten. Es findet sich zunächst nur das Wort «Neubau», nicht aber das Wort «Spitalneubau», zumal in diesem Projekt auch die Tochtergesellschaft Alterswohnen STS AG integriert ist.

Der genannte Angebotsausbau soll mit Spezialsprechstunden erfolgen. Insbesondere für die onkologischen Patienten wäre dies ein grosser Vorteil. Das ist vorerst der einzige unmittelbar erkennbare Zugewinn und grundsätzlich zu begrüssen, wenn es denn tatsächlich zu einer Entlastung der Patienten führt und nicht, wie bei einzelnen bereits bestehenden Angeboten (1×/Monat), mit langen Wartezeiten verbunden ist, so dass sich Patienten vielfach doch für einen Spezialisten in Thun, Spiez oder Bern entscheiden. Hier darf man auf eine Konkretisierung gespannt sein. In der Medienmitteilung unerwähnt bleiben die langjährig etablierten und stark frequentierten Spezialsprechstunden Gastroenterologie und Kardiologie. Gleichzeitig ergeht die Information der STS AG, dass das Gastroenterologiezentrum des Spitals Thun ausgebaut und die dortige Kardiologie neue Räumlichkeiten beziehen wird. Muss man sich da Sorgen machen um die entsprechenden Angebote vor Ort oder wurde alles unter dem Begriff Innere Medizin subsumiert?

Zum so häufig strapazierten Stichwort «integrierte Versorgung» darf natürlich die Hausarztmedizin nicht fehlen, die mir naturgemäss ein besonderes Anliegen ist und die gerade in der letzten Zeit erfreulicherweise wiederholt und zu recht eine Aufwertung erfahren hat (vermutlich da sie immer noch eines der kostengünstigsten Betreuungsangebote darstellt). Ich hoffe nicht, dass zukünftig eine zentralisierte Grundversorgung, vielleicht sogar über kurzzeitig tätige und damit häufig wechselnde Assistenten (die mögen mir verzeihen) erfolgen wird. Eine, wie zu hören war, mietfreie Zurverfügungstellung der entsprechenden Praxisräume für einige Grundversorger im Neubau, lässt eine einseitige Ausrichtung vermuten. Allen Trends zum Trotz müssen eine Familienmedizin vor Ort, Ärzte, die ihre Patienten und deren soziales Umfeld langjährig kennen, und junge Kollegen, die sich ambitioniert und mutig für eine traditionelle hausärztliche Versorgung entscheiden, eine ebensolche Förderung erfahren. Die von Pessimismus durchdrungene Annahme, dass es keine einsatzbereiten Idealisten mehr unter den jungen Hausärzten gibt, will ich trotz eigener Fehlversuche bei der Suche nach einem Praxispartner nicht teilen. Eine sicher anzupassende, aber dennoch Grundversorgung der «alten Schule» ist eine soziale Errungenschaft, die nicht so schnell aufgegeben werden sollte und muss. Die inzwischen politisch getroffenen Massnahmen zur Stärkung der Allgemeinmedizin werden mittelfristig greifen. Mit einer medizinischen Grundversorgung wie in Grossbritannien oder den Niederlanden dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Auch periphere Praxen sollten in so einer ländlichen Region unbedingt erhalten bleiben, eine Grundüberzeugung, für die ich mich auch in meiner eigenen Praxis weiter einsetzen werde. Zukünftig werden beide Modelle sicher ihre Berechtigung haben, jedoch darf die traditionelle Art der hausärztlichen Grundversorgung nicht leichtfertig zugunsten einer im schlimmsten Fall anonymisierten und standardisierten Betreuung aufgegeben werden, scheinen Nachfolgeregelungen aktuell auch noch so schwer.

Völlig inakzeptabel ist die geplante Schliessung der Geburtenabteilung. Dies sollte weder von uns Hausärzten, noch von der Bevölkerung, noch von den politischen Entscheidungsträgern der Region hingenommen werden. Selbst bei angeblich defizitärer Situation in der Geburtshilfe halte ich diese für ein allgemeines Gut und eine grundlegende soziale und zivilisatorische Pflicht, auch oder vielmehr gerade in einem Randgebiet. Um in der Region den so schützens- und erhaltenswerten Mix aus Landwirtschaft, Gewerbe und Tourismus weiterhin und langfristig zu gewährleisten, bedarf es schlicht und einfach Nachwuchs und aller Anstrengungen, die Attraktivität der Region für junge Familien zu erhalten. Ein sogenanntes «Familienzimmer» ist kein Ersatz für eine funktionierende Geburtshilfe ortsnah. Was stellen sich die «glorreichen 8» (Männer) eigentlich darunter vor? Sollen die werdenden Mütter, nachdem sie auf einem langen Transport durch – und überhaupt alle paar Minuten von Wehen geschüttelt werden, noch schnell im Familienzimmer unter Anleitung des zukünftigen Vaters ein Mützchen für den Nachwuchs stricken, bis sie dann (möglichst kostensparend natürlich) ihr Kind auf die Welt bringen dürfen, wenn das nicht bereits im Irgendwo zwischen Zweisimmen und Thun passiert ist. Wir brauchen keine Rückschritte in der Medizin. Der Appell der Präsidentin der Schweizerischen Hebammenvereinigung, Sektion Bern, Frau Marianne Haueter, (Simmental Zeitung vom 26.6.2014) ist ein überzeugendes Plädoyer für die Mütter und sollte uns allen Mahnung und Auftrag sein. Sind es 120 neue Erdenbürger nicht wert, dass man alle «Kosteneffizienz» beiseite lässt und ihr Aufdieweltkommen bezuschusst, als «Investition in die Zukunft» sozusagen, um sich der Sprache der Ökonomen zu bedienen. Eine Initiative zum Erhalt der Geburtenabteilung im Spital Zweisimmen, an der ich mich gern beteilige, sollte uns allen ein Anliegen sein und gesamtgesellschaftlich getragen werden.

Eine Geschichte, bei der man oftmals den Eindruck hatte, dass sie aus dem Tollhaus kommt, scheint aktuell ein Ende zu nehmen. Ob es sich hierbei in der Tat um ein happy end handeln wird oder uns allen eine grosse Mogelpackung im Hochglanzkarton verkauft werden soll, wird die Zukunft zeigen. Die Entscheidungsträger sind aufgefordert, ihre desaströse Medien- in eine offene Informationspolitik zu wandeln, das vorgeschlagene Konstrukt zu konkretisieren und den vielerseits vorgebrachten kritischen Argumenten aus der Bevölkerung Gehör zu schenken.

…und das Ja zum Akutspital am Standort Zweisimmen sollte natürlich ein Ja bleiben.

Erstellt am: 03.07.2014

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