Objektschutzwald Pflegeprojekt im Flyscherewald, Boltigen

Kein Holzschlag wie jeder andere

Nachdem im Februar 2012 eine Fichte umstürzte und Richtung Restaurant, Strasse und Bahn hinabgleitete, war klar: Die grossen Fichten im Flyscherewald, oberhalb des Bahnhofes Weissenbach, bilden eine Gefahr und müssen weg. Seit Anfang Oktober werden die mächtigen, teilweise instabilen Fichten im Rahmen der Objektschutzwaldpflege des Kantons entfernt.

260 Fichten wurden gemäss Heinz Jost, Revierförster Boltigen, auf einer Fläche von zwei Hektaren gefällt. Das ist eine grosse Menge, das ist fast der ganze Wald. Laut Projektbeschrieb der wissenschaftlichen Mitarbeiterin in der Waldabteilung Alpen, Christina Zumbrunnen, ist der betroffene Wald vollständig als Objektschutzwald, für Hangmuren (Erdrutsche) und Lawinen deklariert. «Im Jahr 1940 ging, laut Datenbank der Abteilung für Naturgefahren, eine Nassschnee-Lawine bis zu den Bahnhofsmauern», unterstrich Jost die Notwendigkeit, einzugreifen.

Bietet ein Schutzwald ohne Bäume noch Schutz?

«Ja, denn die Bäume werden auf einer Höhe von 80 cm hangwärts gefällt. Die Baumstrünke, die stehen bleiben, behalten ja ihr Wurzelwerk, das den Hang zusammenhält», erklärte Michel Brügger, Bereichsleiter Waldabteilung Alpen. «Und in diese Baumstümpfe werden quer Baumstämme gelegt, welche zusätzlich für Stabilität, gerade bei Schnee, sorgen.» Diese Querholzverstrebungen aus natürlich vorhandenem Material sind nicht nur kostengünstig, sondern bieten als Totholz vielen Kleinlebewesen neuen Lebensraum. Im Frühjahr apert es um diese Baumstrünke schneller aus, was die natürliche Bestockung (Aufforstung) beschleunigt. Zudem lässt man die Laubbäume stehen, die ebenfalls der Stabilisierung sowie der Neubesamung des Hanges dienen. Und das ist auch nötig, denn: Das Nadeldach der grossen Fichten hielt bis zu 40 Prozent der jährlichen Niederschläge vom Waldboden fern. Dieser Prozess, in der Fachsprache «Interzeption» genannt, fällt nun weg, womit künftig deutlich mehr Wasser auf den Boden fällt und Hangmuren begünstigen könnte. Die Fachleute sind sich einig: Das Risiko für Hangmuren oder Lawinen könnte kurzfristig etwas höher sein. Das wird aber in Kauf genommen, da das Risiko mittel- und langfristig wesentlich geringer sein wird.

Bäume wurden zum Fällen angekettet

«Diese Waldarbeiten, die anspruchsvoller waren als gewöhnliche Holzarbeiten, hatten es in sich», erklärte Heinz Jost. Jede einzelne Fichte hätte vor dem Fällen angekettet werden müssen. «Der Holzer kletterte oft mit einer Leiter am Baum hoch und band ihn mit einer Kette an, die mit ihrem anderen Ende an einem Traktor befestigt war. Der Traktor zog den fallenden Baum in die vorgesehene Fallrichtung. Denn jeder Baum musste präzis in die ihm angedachte Richtung fallen», erläuterte Jost. Die Fichten durften weder abrutschen noch benachbarte Laubbäume oder die bestehende Verjüngung beschädigen. Oftmals seien die Bäume gar gegen die Schwerkraft gefällt worden, was spezielle Fällschnitt-Techniken erforderte. Einige der Bäume wurden zum Fällen nicht an den Traktor sondern an einem Helikopter festgemacht und gleich nach dem Fällen weggeflogen. Mit ihnen wurde im unteren Bereich ein Schutzwall für das Restaurant angelegt. «Bei diesen Arbeiten wurden Teile des Restaurants evakuiert,» erklärte Jost, «in dem Sinne, dass einzelne Räume zu gewissen Zeiten nicht genutzt werden durften.» Die enorme Hangneigung, die rund 30°, beträgt, was etwa 70 Prozent entspricht, machte das Vorhaben mitunter sehr schwierig. Mittlerweile seien alle 260 Fichten planmässig gefällt worden. «Ich war zwar nicht bei jedem einzelnen Baum dabei, aber nach meiner Beurteilung wurde die Übung erfüllt!», lachte er. Unfälle oder Zwischenfälle habe es keine gegeben.

Eine Fichte hat alles ausgelöst

Michel Brügger erklärte gegenüber dieser Zeitung, dass die alten Fichten mehr und mehr zu einer Gefahr wurden. «Sie sind zu gross, zu schwer und sie leiden unter der Rotfäule.» Gemäss Universal Lexikon ist Rotfäule ein «durch parasitäre Pilze verursachter Abbau des Kernholzes lebender Bäume, sodass eine Aushöhlung des Baumstamms erfolgt. Die Rotfäule tritt vor allem bei Fichten auf; die Rotfärbung kommt durch das nach Cellulose-Zersetzung entstehende Lignin zustande.» Diese Rotfäule machte die alten Fichten bei Sturm instabil. Einige sind im Flyscherewald bereits umgefallen und bedrohten die Häuser, den Verkehr auf der Simmentalstrasse und den Bahnverkehr der BLS. Am 12. Februar 2012 stürzte eine Fichte und glitt den steilen Hang ab Richtung Hotel Restaurant Rawyl. «Diese Fichte hat die ganzen Arbeiten hier ausgelöst», erklärte Revierförster Heinz Jost, der an einer Informationssitzung auf die Gefahren im Flyscherewald hingewiesen habe. Er als Förster könne lediglich auf Gefahren aufmerksam machen, aktiv werden müssten andere. Im September 2014 hat die Planung für diese Holzschlagarbeiten angefangen. Beginn der Arbeiten war am 1. Oktober 2015. Auflage war, dass sie bis es einwintere abgeschlossen seien. «Das Wetter hat es gut mit uns gemeint. Wir sind absolut im Zeitplan und rechnen damit, dass wir bis Ende November, anfangs Dezember fertig werden.», hofft Jost.

130’000 Franken Kosten

Heinz Jost rechnete vor, dass das ganze Projekt Kosten in der Höhe von 130000 Franken verursacht. Durch Subventionen und den Erlös des geschlagenen Holzes können rund 100000 Franken abgedeckt werden. Für den Rest kommt der Steuerzahler, sprich die Gemeinde Boltigen, als sicherheitsverantwortliche Stelle, auf. Der Holzpreis hat einen grossen Einfluss auf den Beitrag, den die Gemeinde bei solchen Arbeiten leisten muss. Und dieser ist, gemäss Jost, zurzeit im Keller. «Im Schutzwald darf es kein Argument sein «der Preis ist schlecht – wir holzen nicht». Das geht nicht, wenn Gefahren bestehen, die wir beheben müssen! Damit die Kosten nicht am Waldbesitzer hängen bleiben, übernehmen bei Schutzwaldprojekten die sicherheitsverantwortlichen Stellen, sowie die Trägerschaft allfällige Restkosten», verdeutlichte Michel Brügger.

Kerem S. Maurer