Gstaad Menuhin Festival & Academy

Wien (fast) ohne Wiener: Klarinettist Andreas Ottensamer im Simmental

Am Dienstag, 26. Juli und Mittwoch, 27. Juli war der (Wiener) Klarinettist Andreas Ottensamer zu Gast im Simmental: Mit Konzerten in Zweisimmen und Lenk zeigte der Star-Klarinettist und «Artist in residence» des Gstaad Menuhin Festivals seine Sicht auf das Festival Thema «Wien» und die Spannbreite an Musik, die sich darunter fassen lässt. Zwei Konzerte, die unterschiedlicher kaum sein könnten und doch beide das Publikum begeisterten.

Wien (fast) ohne Wiener: Klarinettist Andreas Ottensamer im Simmental

Andreas Ottensamer überzeugte das Zweisimmer Publikum mit einem Programm, das ganz der Wiener Klassik verschrieben war, mit Beethoven und Brahms. Im Hintergrund Dejan Lazic.

Klassisches Programm der«Zugereisten»

Den Konzertabend in Zweisimmen stellte Ottensamer (fast) ganz in den Rahmen der Wiener Klassik. Und musste doch selbst feststellen, dass unter den «Wiener» Komponisten des Programms kein einziger echter Wiener sei: Der Bonner Beethoven und der norddeutsche Brahms waren die Komponisten der Hauptwerke des Abends. Trotzdem passend, denn beide lebten und wirkten ganz wesentlich in Wien – und mit Ottensamer war zumindest der konzertierende Gastgeber des Abends ein echter, gebürtiger Wiener.

Im eng anliegenden weissen Shirt mit Stehkragen, das fast schon als Sport-Trikot durchgehen könnte, kombiniert mit dunkler Hose und klassischen Schuhen entsprach Ottensamer freilich nicht dem altbackenen Klassik-Künstler. Und so liess sich aus seiner Erscheinung bereits erahnen, was folgen würde: Das Klarinettentrio Nr. 4, op. 11 («Gassenhauer»), ebenso wie das Trio von Brahms, op. 114 wurde von Ottensamer nicht nur klangschön und präzise, sondern auch mit geradezu jugendlicher Frische interpretiert.

Beide Werke stellen die Klarinette nicht als virtuoses Soloinstrument in den Vordergrund, sondern verlangen nach einer künstlerischen Zusammenarbeit der drei Interpreten. Und so wirkte Ottensamers Spiel nie vorpreschend, die Tempi nie so gewählt, als ob er seine technischen Fähigkeiten unter Beweis stellen müsste und doch nicht so getragen und «ausgesessen», dass Linie und Fluss darunter leiden würden – was gerade bei der Brahms’schen Kammermusik sonst gelegentlich zu hören ist.

«Wien für Anfänger»: Georg Kreisler trifft Neue Wiener Schule

Ein völlig anderes Bild und auch eine völlig andere Klangwelt bot sich den Zuhörern am Folgetag in der Lenker Kirche. Und Ottensamer wusste, was er seinem Publikum an diesem Abend anbieten würde. Ein kontrastreiches Programm und so erläuterte er das Motto des Abends «Wien für Anfänger» – damit war nicht das Wien der Mozarts und Beethovens gemeint, sondern das Wien der Neuen Wiener Schule. Eine Musik, die die Atonalität zur Kunstform entwickelte. Die Musik von Schönberg, Webern und Berg – keine ganz leicht verdauliche Kost und dennoch «Wien». Doch verlangte Ottensamer nicht zu viel und liess die modernen Stücke mit Liedern des Wiener Komponisten, Sängers und Kabarettisten Georg Kreisler (1922– 2011) in wechselweisen Blöcken kontrastieren.

Auf diese Weise schaffte es Ottensamer, ein Programm zu konzipieren, das abwechslungsreich, spannend, anspruchsvoll und lustig zugleich war. Mit den «klassisch» ausgerichteten Musik-Kollegen Patricia Kopatchinskaja (Violine), Paolo Mendes (Horn) und Joonas Ahonen (Klavier) liess Ottensamer Alban Bergs Adagio aus dem Kammerkonzert, Schönbergs Fantasie für Violine und Klavier und Weberns vier Stücke für Violine und Klavier erklingen, ergänzt durch drei Lieder aus Gustav Mahlers «Des Knaben Wunderhorn» mit der Sängerin Romana Amerling, die in ihrer Person gleichzeitig die Brücke zu den Kreisler-Blöcken schlug.

Die vielleicht grösste Überraschung des Abends stellte das von Ottensamer als «Vor»-Zugabe angekündigte «Gebet an Pierrot» von Arnold Schönberg dar. Denn was Patricia Kopatchinskaja ganz ohne ihre Violine, dafür aber umso beeindruckender mit ihrer Stimme an dieser Stelle dargeboten hat, entzieht sich jeder Beschreibung und brachte auch ihre Mitmusiker Ottensamer und Ahonen während der Aufführung zu staunenden Gesichtsausdrücken und spontanem Lachen. Sensationell, unbeschreiblich – das müssten Sie als Leser einfach selbst erlebt haben. Und damit war ausgerechnet ein Stück des «schwer verdaulichen» Schönberg der «Hit» des Abends. Besser kann man «Wien für Anfänger» nicht anbieten. Bleibt zu hoffen, dass Andreas Ottensamer auch in kommenden Jahren noch die Musikwelt an Simme und Saane bereichert und so abwechslungsreiche und interessante Programme gestaltet. Das Mozart-Konzert mag er noch eine Weile anderen Klarinettisten überlassen.