Eine Landsgemeinde zur Abschaffung der Pauschalsteuer

Sieben Simmentaler Gemeinden führten am 16. August 2012 in Wimmis eine «Oberländer Landsgemeinde» zur kommenden Volksabstimmung über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung durch. Mit dabei war auch das «Büetzer-TV». Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es eine fragwürdige Rolle spielte.

Eine Landsgemeinde zur Abschaffung der Pauschalsteuer

Rund hundert Teilnehmer verfolgten aufmerksam die Informationen der Landsgemeinde-Organisatoren. Vertreter der Gewerkschaft Unia sorgten für Störmanöver.

Die von Gewerkschaften lancierte Initiative «Faire Steuern – Für Familien» will nebst der Erhöhung der Steuern eine Abschaffung der Pauschalsteuer (Aufwandbesteuerung) und entzieht damit vielen Familien im Berggebiet die wirtschaftliche Existenzgrundlage. Am 23. September 2012 werden die Stimmberechtigten darüber abstimmen. «Wir wollen über die Auswirkungen orientieren, denn es gibt noch viele Missverständnisse». Mit diesen Worten begrüsste der souverän moderierende Christian von Känel, Gemeinderatspräsident von Lenk, die Versammlungsteilnehmer.

Legitimes Engagement der Gemeinden

Die lokalen Behörden sind dem Wohlergehen ihrer Bürger verpflichtet. Bei der kommenden Abstimmung sind die Gemeinden besonders betroffen und somit legitimiert, sich zu Wort zu melden und eine Abstimmungsempfehlung abzugeben. «Die Aktion ist eine Folge des verpassten Engagements des Berggebiets bei der Zweitwohnungsinitiative. Das Resultat ist bekannt. Um weiteren wirtschaftlichen Schaden abzuwenden, sollten wir den gleichen Fehler nicht ein weiteres Mal zulassen und nicht darauf verzichten, uns zu engagieren,» erklärte Christian von Känel. Völlig daneben und irrelevant ist die Forderung der Gewerkschaften, die Auszählung bei den organisierenden Gemeinden zu überwachen.

Die Pauschalsteuer ist gerecht

Die nach Aufwand besteuerten Personen erzielen ihre Einkünfte praktisch vollumfänglich im Ausland und werden dafür auch im Ausland besteuert. Die Pauschalsteuer in der Schweiz stellt daher für diese Personen eine zusätzliche Steuer dar. Allfällige Vermögenserträge aus der Schweiz werden auch bei der Pauschalsteuer vollumfänglich in der Schweiz besteuert. Die Gesamtbesteuerung ist somit weltweit gerecht und angemessen.

Auch der Gegenvorschlag ist untauglich

Auch mit dem Gegenvorschlag verlieren hunderte von Familien ihre Existenzgrundlage, die Bergregionen entvölkern sich weiter und heutige Lernende verlieren – gerade in der jetzt drohenden Krise – ihre Zukunftsperspektiven. Im Gegensatz zur Initiative soll mit dem Gegenvorschlag des Grossen Rates die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung nicht abgeschafft, sondern die Mindestbemessungsgrundlage bei der Aufwandbesteuerung auf 400000 Franken erhöht werden. Diese Erhöhung stellt aber für die meisten Gemeinden mit Potenzial de facto eine Abschaffung dar. Entgegen der verbreiteten Meinung, handelt es sich bei der grossen Mehrheit der pauschalierten Privatpersonen nicht um Milliardäre, sondern um gut situierte und für den Kanton Bern wertvolle Mittelständler. Der Gegenvorschlag würde dazu führen, dass mit Ausnahme von einzelnen wenigen Gemeinden in praktisch allen übrigen Oberländer Berggemeinden dieses, insbesondere in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise, bedeutende wirtschaftliche Entwicklungspotenzial faktisch vernichtet wird.

Arbeitsplätze sind gefährdet

«Oberländer KMU-Betriebe werden geschwächt», sagte Hans Wanzenried, Präsident IG Arbeitsplätze im Berggebiet. Die 230 pauschalbesteuerten Privatpersonen im Kanton Bern, die in der ganz grossen Mehrheit ihren Wohnsitz in Oberländer Gemeinden (nicht nur im Saanenland) haben, generieren mit ihren Investitionen und Konsumausgaben eine Wertschöpfung von ca. 300 Mio. Franken jährlich. Direkt oder indirekt hängen davon rund 2000 Arbeitsplätze im Berner Oberland ab.

Andere Länder machen es vor

Wird die Pauschalbesteuerung abgeschafft oder verschärft, so wird es international lachende Dritte geben. Mehrere Länder in Europa – wie etwa Grossbritannien, Belgien, Malta, Luxemburg, Liechtenstein oder Österreich – kennen eine pauschale Besteuerungsform, die bereits heute teilweise attraktiver als in der Schweiz ist. «Warum Trümpfe abschaffen, die Beschäftigung und Wohlstand brachten,» sagte Nationalrat und Unternehmer Hansruedi Wandfluh.

Auswirkungen auf die Gemeinde Lauenen

«Damit die Chancen des Berner Oberlandes gewahrt bleiben, braucht es am 23. September ein doppeltes Nein», sagte Susanne Huber, Geschäftsführerin Volkswirtschaftskammer Berner Oberland. Als Beispiel nannte sie die Gemeinde Lauenen. Die Zahl der Pauschalbesteuerten ist dort von deren zwei im Jahr 2005 auf zwölf gestiegen. Bei ordentlich besteuerten Personen bleiben der Gemeinde im Schnitt 2500 Franken – bei den Pauschalbesteuerten sind es im Durchschnitt 35000 Franken. Letztere seien für einen Viertel der Steuereinnahmen verantwortlich. Nur zwei dieser Pauschalbesteuerten würden das im Gegenvorschlag zur Initiative geforderte Bemessungsminimum erreichen. Dieser Vorschlag käme für Lauenen de facto ebenfalls einer Abschaffung gleich.

Auf die Solidarität des Unterlandes angewiesen

«Man könnte meinen, Wimmis sei von der Abschaffung der Pauschalsteuer gar nicht betroffen», meinte Peter Schmid, Gemeinderatspräsident von Wimmis. «Es tangiert uns aber sehr wohl – uns alle im Berner Oberland –, darum braucht es Solidarität». Das Berggebiet befindet sich vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation, die sich noch weiter verschlechtern wird, und der Tourismus steht wegen der Frankenstärke vor grossen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund wäre eine weitere Schwächung des Berner Oberlandes fatal. Zur Erhaltung der Wirtschaftskraft und des Entwicklungspotenzials ist das Berner Oberland auf die Solidarität des gesamten Kantons angewiesen.

Zweimal Nein

Wegen den unabsehbaren Folgen für die Bevölkerung empfehlen die organisierenden Simmentaler Gemeinderäte sowohl Nein gegen die Initiative «Faire Steuern – Für Familien» wie auch Nein gegen den Gegenvorschlag zu stimmen. Bei der Stichfrage ist dem Gegenvorschlag den Vorzug zu geben. Eine Verarmung des Berggebiets darf nicht in Kauf genommen werden.

Mogelpackung

In der abschliessenden Diskussionsrunde nahm niemand für die Initiative Stellung. Fritz Perren, Gemeinderatspräsident von St. Stephan, hielt dagegen das von der Unia verteilte Propagandablatt hoch und meinte: «Die Vorlage ist eine Mogelpackung. Von familienfreundlich kann keine Rede sein. Es geht den Initianten primär um die Abschaffung der Pauschalsteuer».

«Büetzer-TV»

Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Unia die Gelegenheit nutzte, vor Ort ein Filmchen zu drehen. Das «Büetzer-TV» filmte gestellte Szenen wie beispielsweise die Ankunft eines Bonzen mit einer Stretchlimousine, einen Mann mit Krawatte und Anzug, der sein Gesicht demonstrativ vor der Kamera mit einer Wirtschaftszeitung verdeckte, ein verkleideter Bodyguard, der demonstrativ mit Sonnenbrille und verschränkten Armen vor der Eingangstür des Versammlungslokals stand, zwei reiche Zürcher und ein Italiener, die sich zu Wort meldeten. Wie Recherchen des «Berner Oberländer» ergaben, handelte es sich bei einem der «Schauspieler» um Hilmai Gashi, Co-Leiter der Unia Berner Oberland. «Es ist doch schön, dass man sich hier so vehement für reiche Leute wie mich einsetzt», meinte er mit offensichtlicher Ironie. Sollte mit dieser fragwürdigen Aktion gezielt die öffentliche Meinung manipuliert werden?

Beat Zahler