Aus dem Alltag einer blinden Physiotherapeutin

Seit 2007 arbeitet Susanne Gasser als Physiotherapeutin in Zweisimmen. Wir haben der jungen Frau, die seit dem achten Lebensjahr stark sehbehindert ist und die heute nur noch Lichtquellen erkennen kann, einige Fragen gestellt, die man oft nicht zu fragen wagt: In einem ersten Teil berichtet sie über den Alltag: Waschen, Putzen, Kochen, Einkaufen. Im zweiten Teil berichtet sie über ihre Hilfsmittel bei der Arbeit und in der Freizeit.

Aus dem Alltag einer blinden Physiotherapeutin

Susanne Gasser beim Einkaufen.

Susanne Gasser bedauert, dass Behinderte zu schnell 1:1 verglichen werden: «Wir sind nicht nur unterschiedliche Menschen, sondern auch ganz unterschiedlich behindert». Die Kommunikation und Übermittlung der Texte erfolgte – dank neuer Technologien – per E-mail. Über technische und elektronische Hilfsmittel, ihren Beruf und die Freizeitaktivitäten berichten wir in einer späteren Ausgabe.

Wie kann ein Blinder, eine Blinde selbständig einen Haushalt führen?

Seit ich mit 22 Jahren die Physiotherapieausbildung angefangen habe, wohne und haushalte ich alleine. Anfangs hatte ich Unterstützung von meiner Mutter. Sie diktierte mir zum Beispiel die Anleitungen für verschiedenste Waschmaschinen. In den Personalhäusern gab es im Keller bis zu acht Maschinen, natürlich fast alles unterschiedliche Typen. Die Anleitungen waren teilweise sehr aufwendig, mit vier Maschinentypen: Maschine eins ist gleich wie vier und fünf und Maschine zwei wie drei und sechs. Also für 40° den fünften Knopf in der unteren Reihe, wenn Sport noch den zweiten in der oberen Reihe und wenn das dann dauert der Waschgang X Minuten oder Y Minuten. Dies für alle Maschinentypen, fast alle Grade und Zusatzfunktionen. Aber es ging und geht noch heute, nur habe ich heute nur eine Maschine, die ich kenne, da brauche ich keine Anleitung mehr. Diese funktioniert mit einem Drehknopf, also genau mitzählen.

Wie sieht es mit dem Putzen aus?

Nebst dem Waschen muss auch geputzt werden. Meine Mutter durchstreifte immer mein Personalzimmer und putzte, was nicht schon glänzte. Dies fand ich gut, da sie mir immer sagte, was sie geputzt hat. Denn sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, einen Spiegel zu putzen oder die kleine Fläche hinter dem WC, wo offenbar und tatsächlich immer viel Staub und Haare liegen. Welch eine Freude, als sie durch die Zimmer/Wohnung streifte und nichts mehr zu putzen fand! Jetzt putze ich routiniert, viele Schmutzarten spürt man gut und ich weiss, wann es wo nötig ist. Ich merke jedoch nicht, wann zum Beispiel der Spiegel oder die Platten hinter dem Kochherd schmutzig sind. Sie werden einfach regelmässig geputzt. Mit der richtigen Technik weiss ich auch, dass der Spiegel wirklich sauber ist und nicht verschmiert. Ich habe mehr Aufwand beim Putzen als jemand, der genau sieht, wo wie lange geschruppt werden muss. Doch ein grösserer Zeitaufwand gehört grundsätzlich zur Behinderung.

Kochen dürfte auch nicht einfach sein?

Ich koche gerne und viel und oft und man sagt: «Auch gut». Ich habe eine sprechende Waage und ein Litermass mit spürbaren Markierungen, Rillen pro ½ Deziliter. Mehr Hilfsmittel brauche ich nicht zum Kochen. Ich kaufe (fast) keine Fertigprodukte, ich mache meinen Kartoffelstock, Spätzli, Teigwaren, Cordon Bleu, Saucen und Kuchen gerne selber. Kochen ist eines meiner zeitaufwendigsten Hobbies.

Was geht in der Küche nicht ohne Hilfe?

Was ich nicht ohne Hilfe kann, ist Rouladenteig dünn und regelmässig auf einem Blech ausstreichen, den Browniesteig ebenfalls regelmässig verstreichen und die Brownies danach schön schneiden; Fischfilets in einer Bratpfanne drehen, ohne dass sie zerfallen, ganz schön anrichten oder Kuchen perfekt glasieren und schmücken.

Wenn man kochen will, muss man auch einkaufen.

Ich wandere in das Geschäft und suche mir alles zusammen, was ich alleine finden kann. Ich wähle meine Äpfel und Birnen, Salate und Gemüse selber aus und packe sie in Säckchen ab. Ich gehe zur Milch, Eier, Joghurt, Käse, Hefe, etc. und lege mir alles in mein Körbchen. Danach gehe ich zurück zum Kundendienst und eine Angestellte wägt mir die Früchte ab und hilft mir noch, das für mich nicht erkennbare zu finden wie Fleisch, verschiedene Mehle, aktuelle Aktionen, selten gekauftes wie Zahnpasta, Duschmittel und Backtrennpapier.

Diese meine «Selbstsuchtechnik» funktioniert nur in Geschäften, die nicht alle Woche ihr Sortiment neu platzieren, nur solange meine Joghurts am selben Ort stehen. Natürlich könnte ich mir auch alles vom Verkaufspersonal zusammentragen lassen, doch ich gehe gerne durch das Geschäft, wähle meine Mandarinen selber aus und es kann auch inspirierend sein, durch die Regale zu tasten und mich so zu informieren.

Ernst Hodel