Cantate-Chor Zweisimmen

Reise nach Prag, der «Mutter aller Städte»

Die Kulturreisen des Cantate-Chors Zweisimmen sind schon fast Tradition. Dieses Jahr war Prag an der Reihe, weil die Werke der zwei Chorkonzerte im kommenden Dezember von den tschechischen Komponisten Brixi und Zelenka stammen.

Reise nach Prag, der «Mutter aller Städte»

Karlsbrücke, älteste von 16 Brücken mit 30Statuen; Brückenturm, eine der schönsten gotischen Bauten dieser Art in Europa.

Mi., 29. Februar/Do., 1. März: Hinreise und unvergesslicher Auftakt

Die 43 Angehörigen des Chors, inklusive ehemaliger Sängerinnen und Sänger sowie Ehepartner und Freunde, trafen sich am Abend am Bahnhof Zweisimmen, um per Bahn die Stadt Prag zu erreichen. In Basel bestiegen alle den Nachtzug, der uns bis um halb elf Uhr des nächsten Tages via Frankfurt, Leipzig und Dresden entlang der Elbe ans Ziel bringen sollte.

Nach dem Hotelbezug in Prag und einer dreistündigen Pause durften wir bereits in einer geführten Stadtrundfahrt im Bus einen ersten Überblick der ca. 1,5 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Tschechiens geniessen. Hier erfuhren wir von einer der drei kompetenten Reiseführerinnen viel Interessantes über Menschen und Kulturschätze Prags, die Architektur und die Bedeutung der Prager Burg. Nun konnten wir uns ein grobes Bild über diese wunderbare Stadt machen.

Nach dem Nachtessen in der Altstadt erlebten wir den ersten musikalischen Höhepunkt dieser Reise. Im Ständetheater durften wir die Mozartoper «Così fan tutte» geniessen. Was uns das sechsköpfige tschechische Ensemble – bestehend aus drei Frauen und drei Männern – in der Originalsprache Italienisch, begleitet von einem eindrücklich spielenden Orchester darbot, war höchste Klasse. Dass Mozart auf der Basis eines recht simplen Librettos solch meisterhafte Musik komponierte, erstaunt besonders in dieser Oper immer wieder. Das schlichte, moderne Bühnenbild beeindruckte, die Musik wirkte doppelt und liess uns in dieser grandiosen Umgebung die Welt vergessen. In diesem Opernhaus wurden übrigens grosse Teile des bekannten Films «Amadeus» gedreht.

Auf der nach Lust und Laune längeren oder kürzeren Heimkehr durch die engen Gassen vergassen wir, dass dieser Tag wegen der langen Nacht in der Bahn zu einem der längsten aber auch eindrücklichsten geworden war.

Freitag, 2.März: Prager Burg und Orgelgenuss inderkalten Kirche

Aufgeteilt in zwei Gruppen führten uns die Reiseführerinnen auf die Prager Burg, der flächenmässig weltweit grössten Anlage dieser Art, die pro Jahr von über einer Million Touristen besucht wird und an manchen Tagen zu klein für die vielen Besucher ist. Hier durften wir vorerst erfahren, wie modern und frei ein Tourist von heute eine Stadt wie Prag kennen lernen kann: Ausgerüstet mit einem Kopfhörer konnten wir uns bis etwa 50 Meter Entfernung frei bewegen, Fotos knipsen und bei müden Beinen kurz auf einem Stuhl oder einer Treppe Platz nehmen.

Den eindrücklichen Gotikbau des St. Veitsdoms sehen viele Tschechen als ein Nationalheiligturm, obschon sie als das wohl atheistischste Volk Europas gelten. Im Königspalast ist der zweite von drei Fensterstürzen von Bedeutung: Derjenige von 1618 löste den Dreissigjährigen Krieg aus, der Europa eine Epoche grosser Verwüstungen und elendes Leid bescherte. Im Goldenen Gässchen ist das kleine blaue Haus Nr. 22 von Bedeutung. Hier wohnte vorübergehend Franz Kafka, um in Ruhe und Abgeschiedenheit zu arbeiten. Die Burg ist einer der sieben Hügel, auf denen – wie Rom - die Stadt 1231 gegründet wurde.

Nach einer Freizeitpause begaben wir uns in die eiskalte Basilika des St.Jakobs in der Altstadt, wo nur für uns ein etwa halbstündiges Orgelkonzert mit Musikstücken von Johann Sebastian Bach, Léon Boëllmann, Fanz Xaver Brixi, Leopold Mozart und Charles-Maire Widor dargeboten wurde. Dass es in der Kirche kalt sei, waren wir vorgewarnt worden. Doch was uns musikalisch geboten wurde, übertraf alle Erwartungen: Die leisen bis zum höchsten Fortissimo sich steigernden Töne dieser gewaltigen, mit vier Manualen ausgestatteten Orgel bot alles. Unglaublich, was ein solches Instrument für Töne von sich geben kann, wenn es eine Könnerin wie unsere Organistin spielt.

Den Abend beschlossen wir bei einem typisch böhmischen Sechsgangnachtessen in einem Restaurant, wo wir unsere tschechischen Singkünste mit vier Liedern der «Klänge aus Mähren» zum Besten gaben.

Samstag, 3. März: Altstadt und Exklusivkonzert desCzech-Klaviertrios

Wie jeden Morgen begannen wir den Tag mit einem ausgedehnten Frühstück an einem grosszügigen Frühstücksbuffet. Nachdem wir schon einige Orte in unserer Freizeit erkundet hatten, erfuhren wir in der Altstadt viel Wertvolles von unseren Reiseführerinnen. In der Grabenstrasse und am Wenzelsplatz wurden wir an die Situation in unserer Region erinnert: Viele Gebäude wurden von ausländischen Investoren gekauft, in modernem Stil – der nicht mehr zu den historischen Fassaden passt – umgebaut. Die Preise der Immobilien stieg für Einheimische ins Unerreichbare. Dabei fanden wir einige Meter von unserem Hotel auch ein anderes Beispiel: Von aussen kaum erkennbar, gelangte man in ein fünfstöckiges Einkaufszentrum mit unzähligen Geschäften.

Einen grossen Publikumsaufmarsch stellten wir am Altstädter Rathaus fest, wo zu jeder vollen Stunde – wie beim Berner Zeitglockenturm – viele Touristen die astronomische Uhr bestaunen. Einer Legende zufolge liessen die Stadtväter den Konstrukteur der Uhr blenden, damit er für andere Städte nicht ein ähnliches Meisterwerk schaffen könne.

Eindrücklich waren die über hundert Kirchtürme, die es in Prag zu sehen gibt. Dabei bekennen sich nur gerade vier von zehn Pragern zu einer Religion. Ethnische Säuberungen in der Zeit des Kommunismus und die Judenverfolgung hinterliessen hier ihre Spuren. Für den Staat sind heute die vielen Kirchen eine grosse finanzielle Belastung.

Dank der Spürnase und der erfolgreichen Verhandlung unseres Dirigenten Klaus Burkhalter durften wir am Abend im Dvorák-Museum eine Darbietung des Czech-Klaviertrios mit Werken von Suk und Dvorák erleben. Eben aus dem Ausland zurückgekehrt, spielten die drei Uni-Professoren für uns Musik vom Allerbesten. Sonst in grossen Konzertsälen – spielten sie nur für uns! Die Klänge der drei Künstler eroberten uns augenblicklich, die Schleusen der hin- und her strömenden Energie öffneten sich. Unglaublich, was drei Instrumente in einem akustisch idealen Raum bewirken können. Selbst die eigens vom Cellisten für Trio umgeschriebenen Zugaben, mal in jazz-ähnlichen Rhythmen, dann wieder fein und gefühlvoll vorgetragen, rissen uns von den Stühlen. Wir freuten uns mit Stolz über die Aussage eines der Künstler, dass sie bei uns die grössere musikalische Befriedigung gespürt haben, als vor einem Publikum von über tausend Zuhörern irgendwo in einem grossen Konzertsaal dieser Welt. Danke, Klaus, für diesen musikalischen Leckerbissen!

Zum Abschlussessen trafen wir uns anschliessend in einem Schiff-Restaurant auf der Moldau.

Sonntag, 4. März: Individuell gestaltete freie Bedürfnisse ausleben und Heimreise

Dank einer Ideensammlung unseres Dirigenten und vielen Eindrücken während der vorangegangenen Tage wählte jedermann in oft neuer Zusammensetzung ein eigenes Programm. Ausgestattet waren wir mit einer Transportkarte und somit sehr flexibel. Uns ging es wie Mozart, der von der Vielfalt Prags beeindruckt war: «Ich fahre jeden Tag den gleichen Weg nach Hause und sehe doch immer wieder etwas Neues.» Diese Erkenntnis ist noch heute gültig: Wir staunten immer wieder über den Glanz der renovierten Fassaden und die wunderbare Architektur in all den Gassen. Je nach Lust und Laune wurde nochmals die Prager Burg, die Altstadt, der Prager «Eiffel»-Aussichtsturm oder eine Fahrt in die Aussenquartiere der Stadt gewählt.

Kurz nach vier Uhr bestiegen wir den Bus zum Flughafen und durften nochmals die ausführlichen Kenntnisse einer der Reiseführerinnen in Anspruch nehmen. Was sich alles in einer Stadt zuträgt, die noch vor gut zwanzig Jahren kommunistisch geführt wurde, sich aber immer wieder gegen das Regime erhob – wie 1968 im Prager Frühling – konnten wir an Bauten in den Aussenquartieren und weiteren interessanten Informationen erfahren. Ein Beispiel: Zur Zeit der Sowjetbesatzung konnte ein Parteifunktionär bereits nach zweimonatigem Studium an einer kommunistischen Universität den Doktortitel erwerben!

In einem einstündigen Flug mit der Swiss und einer anschliessenden Fahrt in einem Stryffeler-Bus erreichten wir kurz vor Mitternacht Zweisimmen. Mit bleibenden Eindrücken durften wir auf wunderbare Tage in Prag zurückblicken. Dies hatten wir aber vor allem der perfekten Vorbereitung und Planung unseres Dirigenten Klaus Burkhalter zu verdanken. Ein Programm mit so vielen Höhepunkten, den Freiräumen zur selbständigen Gestaltung der persönlichen Wünsche, die Pflege der Kameradschaft, das alles spürt man nur dann, wenn alles abläuft wie am Schnürchen und wir feststellen, dass hier ein richtiger Profi am Werk war! Deshalb: Vielen, herzlichen Dank, Klaus!

Christian Steudler