Nein zum Kernkraftwerk Mühleberg
Die Schweizer Elektrokonzerne versuchen ohne Rücksicht auf Verluste, weitere Atomkraftwerke (AKW) zu bauen. Dabei geht es naturgemäss weniger um die Versorgungssicherheit der Schweiz, sondern viel mehr ums eigene Portemonnaie. Wie immer sollen dabei Gewinne privatisiert und Verluste verstaatlicht werden. Ein möglicher Standort für ein neues AKW ist Mühleberg. Dazu kann das Berner Stimmvolk im Februar 2011 Stellung nehmen.
Kürzlich konnte man an dieser Stelle aus berufenem Munde die Gründe lesen, weshalb es geraten und verantwortlich sei, für den Bau eines neuen AKW in Mühleberg zu stimmen. Geht man den Argumenten nach, ergeben sich allerdings einige Ungereimtheiten, denen hier nachgegangen werden soll:
Die BKW wollen die Projektierung eines neuen und im Vergleich zum bisherigen mehrfach grösseren AKW in Mühleberg, d.h. in unmittelbarer Nachbarschaft der Agglomeration Bern, mit allen Mitteln vorantreiben. Die umliegenden Gemeinden werden mit der Aussicht auf happige Gewinne geködert. Von den zugehörigen Risiken ist kaum die Rede.
Aktuell stammt der elektrische Strom, der in der Schweiz verbraucht wird, zu rund 40 Prozent aus in- oder ausländischen AKW. Die Zukunft dieser Technologie ist jedoch unsicher. Spaltbares Uran ist auf der Erde nur in begrenztem Umfang vorhanden. Der Abbau ist mit wachsenden Umweltschäden verbunden. Es ist deshalb mit stark steigenden Uranpreisen zu rechnen. Kürzlich war der Presse zu entnehmen, dass schweizerische AKW-Betreiber russisches Uran gekauft hatten, das als waffenfähiges Uran aus A-Bomben zu Brennstäben umgearbeitet worden war. Die Umweltschäden bei diesem Vorgang erreichen in den betroffenen Regionen katastrophale Ausmasse, betreffen die Schweiz jedoch nur indirekt. Als «sauber» kann die Technologie indessen nicht mit gutem Gewissen bezeichnet werden. Anzufügen ist, dass die Schweiz bei der Versorgung mit Uran vollständig vom Ausland abhängig ist, da hierzulande keine Uranlager vorhanden sind.
Auch der Betrieb eines AKW ist mit potentiell erheblichen Risiken belastet, wie verschiedene Voll- und Beinahekatastrophen belegen, die ganze Landstriche für Generationen unbewohnbar gemacht haben. Diese Risiken bestehen auch in der Schweiz. Immerhin liegt der weltweit erste explodierte Reaktor mit Totalschaden, der unterirdische und mittlerweile schwer versiegelte Versuchsreaktor der ETH, in Lucens VD. Darüber spricht man jedoch lieber nicht. Es ist nicht verwunderlich, dass kein Versicherer die Risiken eines AKW mit potentiellen Milliardenschäden decken will. Die Versicherung der unwägbaren Risiken wird letztlich ungefragt dem Staatswesen überlassen. Kennen wir das nicht schon? War es nicht im Fall der UBS genau gleich? Gratisversicherung für hochriskante Geschäfte? Da wird der Öffentlichkeit lieber Sand in die Augen gestreut, damit sie nicht merkt, welche gesundheitlichen und finanziellen Risiken sie eingeht.
Weiterhin ungelöst ist die Endlagerung des anfallenden hochgiftigen Atommülls, der auf 100 000 Jahre und länger die Umgebung verstrahlt. Zwar gibt es Projekte, wie der Abfall vergraben und entsorgt werden könnte. Unschädlich gemacht wird er dabei nicht. Die Sicherheit eines Tiefenlagers ist überhaupt nicht garantiert. Wer weiss denn, wie sich die Menschheit und die Welt in 100 000 Jahren präsentieren werden! Und wie soll in ferner Zukunft mit dem Gift in der Tiefe verfahren werden?
Neu an der bereits jahrzehntelangen Diskussion um AKW in der Schweiz sind die finanziellen Aspekte: Nachhaltig und ökologisch produzierte Energie aus Windkraft, Photovoltaik, Geothermie und Biomasse wird innert Kürze auf dem Markt billiger zu kaufen sein wird als marktgerecht gerechneter Atomstrom. Wer leistet dann die Abnahmegarantie für den teuren Atomstrom? Wieder der Staat, dem von den einschlägigen Kreisen bereits die Risikogarantie übertragen wurde? Das darf doch nicht wahr sein. Beginnt man in den nächsten Jahren auf Kosten der Strombezüger mit dem Bau milliardenschwerer AKW, kann man die erste Energie daraus zwischen 2025 und 2030 beziehen. In der Zwischenzeit ist das Geld definitiv gebunden und fehlt beim Aufbau einer dezentralen, nachhaltigen Energieversorgung. Dabei würde eine solche tausende von Arbeitsplätzen in hiesigen Handwerksbetrieben, in KMU und entsprechenden Unternehmungen sichern. Im Gegensatz dazu kann ein AKW nur von international tätigen Konsortien gebaut werden, so dass auch der allfällige Gewinn ins Ausland abfliesst. Damit verpasst die Schweiz die einmalige Chance, nach dem Vorbild von Traugott Wahlens Anbauschlacht während des Zweiten Weltkrieges die benötigte Energie im eigenen Land bereitzustellen. Atomstrom als «kostengünstig» zu bezeichnen, ist Ausdruck einer massiven Wettbewerbsverzerrung und kommt einer erheblichen Realitätsverkennung gleich. Bei fehlender Vollkostenrechnung hat die Atomlobby bis jetzt im Bundeshaus die Förderung nachhaltig produzierter Energie mit allen Mitteln und Tricks beeinträchtigt und gebremst, um selber am Drücker zu bleiben. Soll das belohnt werden? Diese Entwicklung ist umso bedenklicher, als tausende von Photovoltaik-Projekten auf Schweizer Hausdächern zur Realisierung bereit stehen. Nur wurde die Einspeisevergütung auf tiefem Niveau plafoniert, so dass die nachhaltige Entwicklung um Jahre verzögert und blockiert wird.
Was spricht dagegen, die Energiewende jetzt einzuleiten? Packen wir’s an und lassen wir die Abhängigkeit von der Atomlobby zu Gunsten der einheimischen Wirtschaft und unserer Nachkommen hinter uns. Ein Nein zum AKW Mühleberg ist ebenso verantwortlich wie wirtschaftsfördernd. Die Schweiz wird es den wahren Patriotinnen und Patrioten zu danken wissen.
Dr. med. Ueli Corrodi, Lenk und Hinterkappelen