Zwischen Pest und Cholera: das Stimmvolk vor den Abstimmungen zur Spitalzukunft

Sehr geehrte Stimmbürgerinnen und Stimmbürger

Sie haben bei den bevorstehenden Gemeindeversammlungen eine wichtige Weichenstellung vorzunehmen und zu entscheiden, ob Sie sich auf Jahre hinaus mit erheblichen Beträgen an der Gesundheitsversorgung in unserer Region beteiligen wollen, was im Wesentlichen auf eine finanzielle Beteiligung am Spital Zweisimmen hinausläuft. Doch es geht nicht nur um das Geld: Mit der Abstimmung verbunden ist die Frage, ob Sie der «Gesundheit Simme Saane AG» (GSS) zukünftig das Spital Zweisimmen und andere Gesundheitseinrichtungen in der Region zur Leitung anvertrauen wollen. Das ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera, zwei schwerwiegenden Krankheiten, wobei Sie nicht wissen, wohin die eine oder andere führt und Ihnen auch niemand sagt, was
es allenfalls für Heilungsaussichten gäbe.

In dieser undurchsichtigen Situation könnte es sich lohnen, einen Blick auf die am Vorgang beteiligten «Heiler» und ihre Interessenlage zu werfen:

Da ist einmal die Spital STS AG mit Sitz in Thun, die aktuelle Betreiberin des Spitals Zweisimmen. Sie trägt seit Jahren das jährliche Betriebsdefizit unseres Spitals von etwa 6 Mio. Franken. Das Spital Thun ist sehr interessiert, auch in Zukunft Patienten aus unserer Region in Thun zu behandeln und entsprechende Beiträge abzuholen. Das Spital Zweisimmen aber würde die STS AG liebend gerne abstossen, um sich finanziell zu entlasten. Schliesslich hat die STS vom Kanton den Auftrag, rentabel zu arbeiten, was ohne Spital Zweisimmen umso leichter zu bewerkstelligen ist.

Die GSI Bern (Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion des Kantons Bern) unter ihrem Direktor Regierungsrat Pierre Alain Schnegg bezeichnet das Spital Zweisimmen als «versorgungsnotwendig» und ist bereit, einen gewissen Betrag für die Region aufzuwenden. Sie will aber nicht in die Führung der Spital STS AG oder gar des Spitals Zweisimmen eingreifen. So begrüsst sie, dass die GSS unter der Leitung von Stephan Hill sie von der Führung des Spitals Zweisimmen entlastet. Die GSI ist aber nicht gewillt, das Überleben des Spitals finanziell vollständig abzusichern. Neu ergibt sich jetzt, dass die GSI mit dem Projekt GSS vorankommen will und ihre Unterstützung des Spitals Zweisimmen an die Bedingung knüpft, dass die Gemeinden ihre Beiträge an die GSS jetzt definitiv bewilligen. Allenfalls wolle man die Versorgungsnotwendigkeit überprüfen. Das wirkt erpresserisch und erinnert fatal an die Kurzformel «Vogel, friss oder stirb!».

Die GSS AG ist die Organisation, die ab 2025 die strategische Führung regionale Gesundheitsversorgung innehaben und gleichzeitig das Spital Zweisimmen betreiben soll. Sie ist seit vier Jahren an der Arbeit, kann aber bis jetzt keine überzeugenden Resultate vorweisen: Fachliche Fragen vom Spitalpersonal und von Gemeinderäten wurden nicht oder nur ausweichend beantwortet, unrealistische Steigerungen der Fallzahlen angenommen und keine plausiblen Lösungsansätze für einen erforderlichen Spitalneubau präsentiert. Sie ist auch nicht bereit, vor den Gemeindeversammlungen einen vollständigen und nachvollziehbaren Businessplan vorzulegen und sich klar zu äussern, wie sie das Spital zu führen gedenkt.

Die Gemeinden sind somit gehalten, den Versprechen der GSS zu vertrauen und die «Katze im Sack» zu kaufen. Dabei gibt es grosse Zweifel an der fachlichen und menschlichen Kompetenz der GSS, der es bis anhin nicht gelungen ist, das Vertrauen der beteiligten Menschen zu gewinnen. Was ist unter den gegebenen Umständen der Wert der gemachten Versprechungen?

Das Spitalpersonal, die direkt Betroffenen in der neuen Organisation, wurde bis anhin kaum begrüsst oder mit ihren Anliegen billig abserviert. Viele haben das Spital bereits verlassen, die Verbleibenden arbeiten an der Grenze ihrer Kräfte und fühlen sich nicht ernst genommen. Die Personalsituation im Spital ist vom Zusammenbruch bedroht, sodass bereits kurzfristig das Aus des ganzen Betriebes droht.

Das Personal der Alterseinrichtungen («Alterswohnen STS AG») lehnt eine Integration in die GSS ab, da sie nicht als vertrauenswürdig wahrgenommen wird und keine Strategie in der Weiterentwicklung der Altersversorgung erkennbar ist.

Und schliesslich ist da die Bevölkerung unserer Region, die im Zentrum aller Bemühungen steht – oder vielmehr stehen sollte. Sie ist das Opfer aller übergeordneter Konstruktionen und dazu verdammt, darauf zu warten, was man ihr überstülpt. Sie wird bildlich gesprochen mit der Pistole im Rücken dazu gezwungen, in ein Flugzeug mit einer nicht effektiv arbeitenden Crew einzusteigen und mit unbekanntem Ziel abzufliegen. Das ist viel verlangt. Es ist gesund, vor einem solch riskanten Abenteuer zu zögern.

Gibt es einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation? Den gibt es!

Da die GSS im Moment nicht handlungsfähig ist und das Geschäft sowieso erst auf anfangs 2025 übernehmen kann, ergibt sich die Chance, innert eines halben Jahres das Projekt mit Businessplan und Leistungsangebot des Spitals zu präzisieren, um das Überleben zu sichern. Da die heutige Führung der GSS offensichtlich nicht in der Lage ist, das Projekt voranzutreiben, braucht es eine neue und fähige Crew, die in kurzer Zeit konkrete und tragfähige Ergebnisse liefert. Wir empfehlen deshalb, an den kommenden Gemeindeversammlungen den Antrag zur finanziellen Unterstützung der GSS zurückzuweisen.

Konkret schlagen wir vor:

Ja zu einem Erhalt des Spitals Zweisimmen.

Nein zum Antrag der Gemeinderäte zur finanziellen Unterstützung der GSS AG in der vorgeschlagenen Form und damit verbunden ein Nein zum derzeit vorliegenden Konzept der GSS AG.

Ja zu einer finanziellen Beteiligung in der Höhe von jährlich 1,5 Mio. Franken durch die Gemeinden unter der Bedingung, dass bis am 1. März 2024:

– ein vollständiger und plausibler Businessplan öffentlich vorgelegt wird,

– die Finanzierung eines allenfalls erforderlichen Neubaus bzw. die Sanierung des bisherigen Spitals im Grundsatz geklärt ist,

– die Bereichsleiter des Spitals Zweisimmen dem Gesamtkonzept mit mindestens Zweidrittel-Mehrheit zustimmen (oder auf andere Weise zweifelsfrei klar wird, dass die grosse Mehrheit des Personals die Pläne mitträgt).

Nein zu einer Übernahme von Betrieben der Alterswohnen STS AG in Zweisimmen und Nein zur Übernahme von entsprechenden Immobilien durch die GSS AG, auch nicht durch Tochtergesellschaften der GSS AG.

Ja zur Stärkung der regionalen geburtshilflich-gynäkologischen Versorgung.

Wir wünschen Ihnen für Ihre Entscheidungen an den Gemeindeversammlungen ein weises Herz und eine starke Hand im Hinblick auf eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung in unserer Region.

Dr. med. Ueli Corrodi,

Hinterkappelen und Lenk,

Marianne Herbst, Oberwil,

Dr. med Thomas Näf, Zweisimmen,

André Streit, Weissenburg

Armin Berger, Boltigen