Farbige Alpkulturtage an der Lenk

Im wahrsten Sinne des Wortes waren die Tage, an denen die Anlässe im Rahmen der AlpKultur stattfanden, farbig: Strahlend blauer Himmel, farbige Blätter an den Bäumen, Blumen in voller Pracht, goldenes Herbstlicht, Kühe und Menschen schön geschmückt, aber auch weiss überzuckerte Hänge und Nebelschwaden. «Farbig» auch das Angebot: Von verschiedenen Workshops, angefangen beim Jodeln, Viehbeurteilung, Käsen über Hornussen bis zum Vortrag über «Bschütti», vom Älplerzmorge zu Zügleten und einer Misswahl bis zu einem Alpkäsemarkt wird den Gästen, aber auch den Einheimischen etliches geboten – zum Mitmachen oder auch nur als Zuschauer respektive Zuhörer. Beeindruckend ist, wie sehr sich viele Bewohner des Simmentals engagieren.

Eigentlich will ich an diesem Montagmorgen nur schnell im Workshop Jodeln vorbeischauen, um einige Zeilen darüber schreiben zu können. Dass es mich so packt und mir das ganze Wochenprogramm durcheinander bringt, damit habe ich nicht gerechnet. Eine Schar von etwa 20 Personen – Ober- und Unterländer, Männer in der Minderheit – wartet gespannt auf den Lehrer und Dirigenten Ueli Moor. Wir vernehmen, was alles zu lernen ist: Ein Lied werde einstudiert, geachtet werde sehr auf Aussprache, Tongebung, Harmonie und… auf das «Gschpüri». Ich lerne, dass es im Jodeln keinen Sopran gibt, nur 1. und 2. Tenor und 1. und 2. Bass. Nicht alle wissen sofort, wo sie sich hinstellen sollen. «Kobi, bisch du ä Ruri?», fragt der Chef. Also zu den Bässen. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus: Zum Aufwärmen wippen die Füsse, kreisen die Hüften, schlenkern die Beine, streicheln die Hände das Gesicht, kreist die Zunge im Innern des Mundes; da wird richtig geatmet, es wird geknurrt und geschnurrt; die Sorgen werden abgeklopft. Der erste Ton wird gesungen: Ein schön rundes O, ein geschlossenes E, alle Vokale; die ersten Akkorde ertönen.

Jodeln ist auch Bildersprache im Kopf

Langsam haben die einzelnen Stimmen ihre jeweilige Melodie im Kopf. Nun geht es an die Feinarbeit. «Aussprache beachten! Freundliche Gesichter machen! Das heitere ‹Gloggeglüt› muss dementsprechend leicht und hell tönen», verlangt Ueli Moor. «Macht euch ein Bild im Kopf und setzt das um!» Diskussionen, ob jetzt zu tief oder zu hoch. Ueli beruhigt: «Äs chunnt scho guet». Er singt allein, studiert, setzt neu an. «Jitz han ig kes Gnusch meh», und lacht. Überhaupt dieses Lachen – immer wieder erzählt er uns kleine Begebenheiten und Anekdoten und bringt sich und uns zum Lachen. Mein Sängernachbar meint am Schluss des zweiten Morgens: «Der Tag ist gerettet». Ich schaue ihn fragend an. «Wir haben wieder so viel gelacht, was wollen wir noch mehr?» Wie wahr. Wir üben Jodeltechnik, den Kehlkopfschlag. Ich übe zu Hause, es tönt wie ein Esel, wenn er schreit. Mein Hund Hannibal heult jedes Mal zum Erbarmen. Also aufhören. Am Samstag klappt’s hoffentlich, wenn wir in der Kirche vorsingen werden. Was für ein Gefühl, wenn der Chef vorne strahlt und sich kurz über den Arm streicht zum Zeichen, dass er Hühnerhaut bekommt, wenn eine Passage voll Kraft und Harmonie gelungen ist. «Ärdeschön», rühmt er uns. Vergessen ist die wohlverdiente Strafpredigt vom Vortag, weil wir so schwatzhaft waren. Und wie stolz sind wir, als in der Kirche der Applaus eine Zugabe verlangt – allerdings kennen wir nur gerade dieses Lied, so dass wir halt nur die letzte Strophe wiederholen.

Viehbeurteilung ist eine Wissenschaft für sich

Ich eile aus dem Jodeln auf den Gadeplatz. Da stehen sie bereit, die vielen Kühe, und warten darauf, begutachtet und vielleicht sogar als Miss Lenk gekürt zu werden. Werner Bratschi gibt in einem andern Workshop Auskunft darüber, nach welchen Kriterien die Tiere von den Experten beurteilt werden. Wir lernen unter anderem, dass das Fundament angeschaut wird (die Stellung der Beine und der Klauen, die Flanken, die Brust usw.), das Euter (eine gute Aderung ist wichtig), der Typ und der Strich (hier habe ich mir etwas punkto Fell vorgestellt, erfahre jedoch, dass die Zitzen gemeint sind). Wir lernen viel über Klassen, Herdenbücher, Genossenschaften… Mir schwirrt der Kopf von all diesen Begriffen. Wahrlich eine Wissenschaft für sich. Durchfroren vom Morgennebel gehe ich nach Hause und weiche meine Gummistiefel, die ich in weiser Voraussicht angezogen habe, im Trog ein.

Blumenschmuck ist Kopfputz für die Kühe

Bei Werrens in der Aegerten fühle ich mich wohler: Welch eine Blumenpracht liegt da auf dem Vorplatz am Boden, eine Vielfalt an Farben und Sorten. Fleissige Hände suchen die schönsten Blüten heraus und formieren diese zu kleinen Sträusschen, die dann gekonnt und kreativ um kleine Rottannenbäumchen gewunden werden, die Manuel Werren fachgerecht auf Melkstühle montiert hat. Man erklärt mir, jede Kuh trage am Samstag beim Alpabzug durchs Dorf eine Blumenkreation auf dem Kopf – welch ein Vorteil beim Befestigen, wenn eine Kuh ihre Hörner noch hat. Überhaupt lerne ich viel über Trachten, was ein Burgunder ist, ob das «Chriis» die Kuh kitzeln kann, wie ein «Muni» geschmückt wird und, und, und. Vor allem aber beeindruckt mich, wie die Leute einander helfen; da steckt so viel Hilfsbereitschaft und Arbeit hinter einer «Züglete» und dem «Märit» vom Wochenende – von vielen bäuerlichen Familien und deren Nachbarn, aber auch von den Mitarbeitern von LenkTourismus.

Flavia wird Miss Lenk

Wetterpech: Nun wird es nass und kalt am Samstag. Im Festzelt findet gerade die Versteigerung eines sechs Kilogramm schweren Käses statt. Für 210 Franken wechselt der Laib den Besitzer. Ich suche Kilian Wenger, der Autogrammstunde hat, sehe ihn aber nirgends. Vor dem Tourismusbüro stehen Menschen in einer Schlange, weit die Strasse hinauf. Hunderte wollten ein Autogramm von ihm, sagt man mir. In der Zwischenzeit warten bereits einige Kühe geduldig auf die Miss-Wahl. Auf der Platzmitte steht ein Podest mit Rampe bereit für die Auserkorenen – vier Stück dürfen hin-auf. Eine Anwärterin hat das Warten satt und gebärdet sich nicht gerade königlich. Der Besitzer braucht seine ganze Kraft, um sie zu bändigen. Nun wird es spannend. Miss Lenk 2010 wird… Nummer 80, die vierjährige Flavia mit ihren berühmten Verwandten. Stolzer Besitzer ist Klopfenstein Stefan vom Gutenbrunnen an der Lenk. Die beiden sind prominente Auftritte gewohnt, waren sie doch auch schon am Fernsehen zu sehen bei SF bi de Lüt. Nun wird mir auch klar, warum Flavia so zitterte; nicht nur wegen der Kälte, sicher wusste sie im Voraus, dass sie ein Jahr lang das Krönchen tragen und im Rahmen des Sponsorenvertrages mit Lenk-Simmental Tourismus etliche Verpflichtungen zu erfüllen haben wird.

Älplerzmorge ist wieder ein grosser Erfolg

Überraschung am Sonntagmorgen – die Hänge sind weiss. Wie gerne würde man sich da nochmals im Bett umdrehen. Aber im Dorf wartet das Festzelt mit dem Älplerzmorge. Nur schade, dass ich morgens nicht viel essen kann. Da fällt es schwer, sich zu entscheiden – zu gluschtig warten die vielen Brotsorten, Gipfeli und Brioches darauf, verschlungen zu werden. Wenigstens beim Anken ist die Sache klar: Eine einzige Sorte. Bei der Confi wird’s schon schwieriger. Und dann erst recht bei den verschiedenen Fleischwaren (frühmorgens fällt der Verzicht leichter). Aber als «Chäsmoudi» kann ich all den wunderbar präsentierten Käsen nicht widerstehen. Ich geniesse den liebevollen, aufmerksamen Service der vielen Helferinnen, die uns Café und Milch bringen. Als dann um 10 Uhr die Boltiger Ländlerfründe «Geng no chly meh» (passend zum Frühstücksbuffet!) zu spielen beginnen, ist die Stimmung perfekt.

Das 2. Älplerzmorge übertrifft auch dieses Jahr die Erwartungen. Mehr als 250 Personen verschlingen unter anderem 10 Kilo Anke, 20 Kilo Käse, 25 Kilo Fleisch, 80 Liter Kaffee.

Alpchäsmärit ist ein Augenschmaus

Nicht nur dem Magen wird viel geboten, auch die Augen kommen voll auf ihre Rechnung. Im Festzelt stehen zehn farbig geschmückte Stände, wo diverse Bauernfamilien ihre Käseprodukte präsentieren. Gegen Mittag wird eifrig degustiert, diskutiert und eingekauft. Es fällt schwer, eine Wahl zu treffen. Als Entscheidungshilfe könnte das Studium der Alpstandorte dienen: Sind die Kräuter auf der Alp Parwengen «chüstiger» als diejenigen der Alp Ritz? Oder doch lieber vom Stiegelberg? Ich bleibe bei einer Information der Alp Metsch hängen. Auf der Metschberg-Strubelhütte auf 1750 Meter über Meer werden von der Lenker Familie Zimmermann pro Sommer 2460 Kilo Käse produziert, was 246 Laiben Käse à acht bis zwölf Kilo entspricht.

Noch liegt eine weitere Woche Alpkultur vor uns – wiederum mit spannenden Themen. Kathrin Moilliet