Februarkonzerte in Zweisimmen: Franz Schuberts «Winterreise»

Hörgenuss mit Reto Reichenbach und Hans-Jürg Rickenbacher

Zurzeit werden in Zweisimmen die vierten «Februarkonzerte» durchgeführt. An den vier Mittwochabenden bietet die Konzertvereinigung Zweisimmen individuelle Konzerte mit bekannten Schweizer Musikern an. Am vergangenen Mittwoch konzertierten der Saaner Pianist Reto Reichenbach und der Bieler Tenor Hans-Jürg Rickenbacher. Auf ihrem Programm hatten sie Franz Schuberts Liederzyklus «Die Winterreise».

Eine Stunde Hörgenuss gönnten Reto Reichenbach (links) und Hans-Jürg Rickenbacher dem Publikum in der Zweisimmner ref. Kirche.

Eine Stunde Hörgenuss gönnten Reto Reichenbach (links) und Hans-Jürg Rickenbacher dem Publikum in der Zweisimmner ref. Kirche.

Klaus Burkhalter ist ausgebildeter Tenor und Chorleiter sowie Präsident der Konzertvereinigung Zweisimmen. Die Musik, vor allem aber der Gesang liegen ihm daher am Herzen. Insbesondere mit den Konzerten des Cantate Chors Zweisimmen, dem er als Dirigent vorsteht, hat er in der Vergangenheit auf sich aufmerksam gemacht, denn nicht nur der Chor selbst brilliert unter seiner Leitung. Es gelingt ihm auch immer wieder, ausgezeichnete Solisten dazu zu bewegen, den Chor zu unterstützen. Die Idee, diese Musiker, die Burkhalter so übers Jahr kennen lernt, auch zu individuellen Konzerten nach Zweisimmen einzuladen, lag nahe. So entstanden vor vier Jahren die Zweisimmer «Februarkonzerte». An den vier Mittwochabenden des Monats treffen sich seither Interpreten aus der ganzen Schweiz, um in der Zweisimmer ref. Kirche zu konzertieren. Die Abende sind bewusst in kleinem Rahmen gehalten und ohne Eintritt (die Kollekte wird empfohlen). Musik zum Anfassen, sozusagen. Unkompliziert und für jedermann zugänglich. Und die zum Teil sehr bekannten Künstler scheinen die Gelegenheit gerne zu nutzen – auch, um sich einmal ein wenig anders zu präsentieren, als sie es sonst tun.

Ein besonderes Duo

Dies galt wohl auch für die beiden Interpreten des dritten der Februar-Konzerte 2011 am vergangenen Mittwochabend. Der bekannte Konzertpianist mit Saaner Wurzeln, Reto Reichenbach, hatte sichtlich Freunde daran, mit dem in Basel lebenden Tenor Hans-Jürg Rickenbacher zu konzertieren. Reichenbach ist sonst weltweit mit Solokonzerten unterwegs und Rickenbacher ist vorwiegend in grösseren Opern-Produktionen oder als Gesangslehrer an der Basler Musik-Akademie tätig. Während sich der Tenor neben seinen Opern-Rollen gerne auch individuellen Liederprogrammen widmet, ist dies für Reto Reichenbach wohl eher die Ausnahme. Er habe jedoch den Cantate Chor schon unterstützt, bedankte sich Burkhalter bei dem einheimischen Musiker, und auch die Saaner kennen ihn als einfühlsamen «Begleiter». Gerne erinnert man sich an die Konzerte, die er jeweils in der Altjahrswoche mit der Sopranistin Béatrice Villiger in der Saaner Kirche gegeben hatte. Für einmal hätten sich Reichenbach und Rickenbacher nun zum «besonderen Duo» vereint, so Burkhalter. Ausgesucht hatten sich die beiden den Lieder-Zyklus von Franz Schubert, die «Winterreise».

Hans Jörg Rickenbacher: ausdrucksstark und temperamentvoll

24 Lieder beinhaltet der von Wilhelm Müller verfasste und von Franz Schubert vertonte Zyklus. Eine Handlung in dem Sinne ist wohl bewusst nicht zu erkennen. Vielmehr erlebt der Zuhörer einen jungen, von Liebeskummer geschüttelten Wanderer, der auf seiner Reise durch die Winterlandschaft mit seinen seelischen Höhen und Tiefen verzweifelt fertig zu werden versucht. Die Schwierigkeit für den Tenor ist es, die fast nicht greifbare innere Zerrissenheit des Verschmähten, das Wechselbad der Gefühle von jauchzendem Glück bis zur Todessehnsucht zum Ausdruck zu bringen. Rickenbacher gelang dies ergreifend. Nach dem bewusst zurückhaltenden Einstieg überraschte er schon im starken zweiten Lied «Die Wetterfahne» mit Temperament und Stimmvolumen. Immer mehr gelang es ihm anschliessend, sich in die Gestalt des Wanderers hineinzuversetzen. Im vierten Lied, der «Erstarrung», meisterte er die wohl höchsten Töne der «Winterreise» genauso bravourös wie etwa den Trauermarsch im «Irrlicht», die freudige Dynamik in «Die Post», den unterdrückten Schmerz in «Muth» oder die deutliche Todessehnsucht des Wanderers, die er hegt, als er den Friedhof in «Das Wirtshaus» betritt, auf der Suche nach einem «freien Platz».

Reto Reichenbach: einfühlsam und dynamisch

Herrlich war zu erleben, wie sich Reto Reichenbach gemeinsam mit dem Tenor in das Szenario begab. Einfühlsam passte sich der Pianist jeder Regung Rickenbachers an, spielte ihm regelrecht entgegen, um die zum Ausdruck gebrachten Gefühlsschwankungen deutlich zu unterstreichen. Schon in der «Wetterfahne» setzte er die vom Komponisten verlangte Identität mit der Singstimme eindrücklich und temperamentvoll um. Im «Irrlicht» gelang es ihm, mit schwieriger, unruhiger Rhythmik die Wirren des Wanderers zu unterstreichen, und auch die deutliche, stellenweise sehr dynamische Begleitrolle des Klaviers in «Der greise Kopf» meisterte er überzeugend. Mit der sehr tief gesetzten Klavierbegleitung in «die Nebensonnen» unterstrich er herrlich die Beschreibung der drei Sonnen Liebe, Leben und Hoffnung und im Schlussstück «Der Leiermann» gelang es ihm vortrefflich, den unheilbaren Zustand der Hoffnungslosigkeit des Wanderers mit dem verlangten monotonen Spiel zu untermalen, bevor der Liederzyklus mit einem letzten kurzen Aufbäumen endet.

Die «Chemie» stimmte

Wer Schuberts «Winterreise» schon einmal gehört oder gar interpretiert hat, weiss, dass dieser Liederzyklus für den Sänger und vor allem für den begleitenden Pianisten alles andere als ein Spaziergang ist. Die «Winterreise», die zu den bekanntesten Liederzyklen der Romantik gehört, ist gleichzeitig auch einer der anspruchsvollsten und gilt sowohl technisch als auch interpretatorisch als grosse Herausforderung für beide. Da aber schon wenige Minuten nach Konzertbeginn klar war, dass die Kombination Rickenbacher/Reichenbach passt und vor allem die «Chemie» zwischen den beiden stimmt, kamen solche Gedanken gar nicht erst auf. Man lehnte zurück und gönnte sich eine genussvolle Stunde mit zwei Musikern, die dem «Stoff» ohnehin gewachsen waren und sichtlich Freude am gemeinsamen Musizieren hatten. Tina Dosot