Interview mit Nationalrat Erich von Siebenthal
Die Bauern und nicht die Landschaft müssen geschützt werden
Seit den gewonnenen Abstimmungen über Minarette und die Ausschaffung von Ausländern ist die SVP im Aufwind. Prominentester Vertreter in der Region Obersimmental-Saanenland ist Nationalrat Erich von Siebenthal. Er wurde 2002 in den Grossen Rat des Kantons Bern gewählt und vertritt die Region seit dem Herbst 2007 im Nationalrat. Die SZ hat Erich von Siebenthal getroffen und mit ihm über seine Arbeit in Bern gesprochen.

Erich von Siebenthal ist fast immer erreichbar.
Sind Sie mit Ihrer Arbeit im Nationalrat zufrieden?
Ich staune noch heute, wenn ich in Bern ins Bundeshaus gehe, dass ich das Vorrecht habe, einen Sitz in diesem Haus innezuhaben. Ich gehe nach wie vor mit grossem Respekt nach Bern. Ich freue mich immer wieder, dass ich mitbestimmen kann, wie unser Land regiert wird. Mit meinen Vorstössen vertrete ich besonders die Interessen der Berggebiete und des ländlichen Raumes allgemein. Ich bin dankbar, wenn auf meine Motion «Sicherung der Selbstversorgung», die einen Selbstversorgungsgrad von 60% fordert, reagiert wird und die Umsetzung zurzeit im Bundesrat ein Thema ist. Wenn man meine Tätigkeit sieht, dann erkennt man, dass ich nicht nur an den Apéros teilnehme.
Was ist das besondere an der Nationalratstätigkeit?
Ich durfte im Rahmen der Kommissionsarbeit das UNO-Gebäude in Genf besichtigen. Hier sind die Räumlichkeiten, wo sich die Welt trifft. Es ist beeindruckend zu sehen, wie das Ganze organisiert ist und wie die Treffen stattfinden. Tagt z.B. der Sicherheitsrat, dann gibt es extra zwei Eingänge, damit sich die verfeindeten Parteien nicht begegnen müssen. Die Schweiz als neutrales Land hat eine grosse Verantwortung gegenüber der Welt. Dies sollte uns stets bewusst sein.
Welchen Einfluss hat die Tätigkeit auf Sie?
Für mich ist die kopflastige Tätigkeit eine grosse Herausforderung. Als Bauer bin ich dies nicht gewohnt. Um dies bewältigen zu können, braucht man ein Umfeld, das einen unterstützt. Ich habe einige Personen, die ich gebeten habe, dass sie mir mitteilen sollen, wenn ich mich verändert habe. Meine Frau hat einmal zu mir gesagt: «Seit du in der Politik bist, bist du härter geworden». Dies hat mich beschäftigt. Dies zeigt, dass die Politik bis in die Familie hinein abfärbt. Das möchte ich nicht und ich war sehr froh über ihren Hinweis.
Leidet die Familie unter Ihrem Mandat?
Die Familie hat nicht nur Einfluss auf die politischen Entscheidungen, sondern die Politik hat auch einen grossen Einfluss auf die Familie. Ich bin gefordert, denn meine Familie soll trotz meiner Arbeit im Nationalrat noch eine Lebensqualität haben. Wir müssen uns Freiraum schaffen, damit unsere Familie weiter bestehen kann. Dafür muss jedes Familienmitglied auch seinen Beitrag leisten. Ich versuche, wenn möglich, den Sonntag freizuhalten. Gerne fahren wir auch mal ein Wochenende weg oder nehmen uns ein paar Tage frei.
Unser Bauernbetrieb wird von meiner Frau Maria, meinen beiden Söhnen Jan (24) und Joel (22) und mir betrieben. Meine Tochter Ines ist 19 Jahre und zurzeit in Thun in Ausbildung zur Fachpflegefrau und kann daher weniger auf dem Hof helfen. Meine Kühe müssen täglich versorgt werden. Ich bin meinen zwei Söhnen sehr dankbar, dass sie trotz ihrer Berufstätigkeit noch Zeit finden, um auf dem Hof zu helfen. Aber auch deren Arbeitgeber dürfen in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, denn ohne deren Verständnis, und die von ihnen gewährten Freiräume wäre dies fast nicht möglich. Insbesondere beim Heuen oder Emden können diese dann nicht ihrer normalen Arbeit nachgehen und müssen diese Tage frei nehmen.
Politisiert ein Familienvater anders?
Für mich ist es ein grosses Geschenk, dass ich eine Familie habe, dies ist nicht allen vergönnt. Als Familienvater hat man bestimmt mehr Herzblut, wenn es darum geht die Rahmenbedingungen für die Zukunft festzulegen.
Was sind Ihre politischen Schwerpunkte?
Das Arbeitsfeld im Nationalrat ist sehr umfassend. Als ländlicher Vertreter hat man sofort eine breite Palette von Themen, aber es gibt auch gewisse schwergewichtige Themen für mich wie Forst- und Landwirtschaft. Als Mitglied der Kommission Tourismus und Verkehr kommen weitere Geschäfte auf die Traktandenliste wie Mehrwertsteuer, öffentlicher Verkehr, Erschliessungen und vieles mehr.
Welche Interessen vertreten Sie im Nationalrat? Gibt es einen Konflikt zwischen nationalen und regionalen Interessen?
Ich bin geprägt von meiner Heimat, meiner Familie und meiner Region, wo ich aufgewachsen bin. Ich fälle meine Entscheidungen aus dieser Warte heraus. Ich beachte dabei je nach Geschäft, ob dies auch im Interesse der ganzen Schweiz ist.
Eine gewisse Regionalpolitik findet auch im Nationalrat statt, zum Beispiel bei der diskutierten und zum Glück nicht umgesetzten Forderung nach der Streichung von Postautoverbindungen war ich klar für deren Erhaltung, auch wenn es etwas mehr kostet. 15 Millionen sind auf Bundesebene kein namhafter Betrag. Ich musste feststellen, dass wenn wir im Nationalrat etwas sparen, die Gefahr gross ist, dass der Bund das Geld anderweitig ausgibt. Trotz allem müssen wir alles daran setzen, auch in Zukunft Schulden abzubauen.
Die SVP will sparen – widerspricht dies nicht den Anliegen der Bergregionen, die immer mehr Geld fordern?
Wir müssen im Berggebiet kämpfen. Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir unnötig Geld ausgeben. Letztlich geht es dabei um die dezentrale Besiedelung und folglich um Arbeitsplätze. Wir stellen keine unnötigen Begehren. Wenn wir glauben, dass unsere Schweiz ohne Subventionen und ohne finanzielle Hilfe für Schwächere funktionieren soll, und wenn die Solidarität nicht mehr da wäre, dann können wir aufhören – dann erklären wir dem ländlichen Raum den Krieg. Das Paradoxe ist ja, dass gerade die Städter sich im ländlichen Raum erholen wollen und nicht auf den Komfort verzichten möchten. Sie möchten Bergbahnen, Hallenbäder, intakte Berge… Wir müssen nun den Leuten aufzeigen, was mit den Geldern passiert.
Braucht es Subventionen für die Bergbahnen?
Wenn ich sehe, dass die Auflagen immer wieder steigen und dass die Kontrollen zum Beispiel für Revisionen usw. immer wieder verschärft werden, dann ist dies schlicht nicht mehr tragbar. Der Bürger erfährt die Leistungen der Bergbahnen zu wenig. Dank den finanziellen Mitteln im Saanenland können wir die Anzahl und die Qualität der Bergbahnen heute noch halten. Wenn sich dies in der Zukunft ändert, dann müssten wir über die Bücher und einen Leistungsabbau vollziehen.
Der Kanton Bern verhält sich in Bezug auf Subventionen für Bahnen – oder auch für den Tourismus allgemein – sehr stiefmütterlich. In anderen Kantonen geht da bedeutend mehr. Ich bin mir jedoch auch bewusst, dass der grosse ländliche Kanton Bern finanziell eng da steht.
Ich bin der Meinung, dass beim Ausbau Schritt für Schritt vorgegangen wird. Wir müssen auch der nächsten Generation noch Möglichkeiten offen halten, sich weiter zu entwickeln. Das heisst nicht, dass wir nicht auch mal ein Grossprojekt umsetzen sollten – aber mit Mass, denn das Potenzial vom Berggebiet ist die Landschaft.
Sind Naturpärke der richtige Weg dazu?
Ich bin gegen Reservate und Schutzgebiete. Es darf sicher in Einzelfällen Naturpärke geben, meiner Meinung nach haben wir jedoch heute schon zu viele. Dann ist ein Park auch nichts besonderes mehr.
Ich bin für die Bewirtschaftung der Wälder. Ich würde mich hüten, meinen Wald zu Gunsten eines Reservates abzugeben, das Geld einzuziehen und für die nächsten 50 Jahre zu unterschreiben. Dies ist gegenüber den nächsten Generationen unfair, denn diese müssen dann nur noch Auflagen erfüllen. Wenn wir den Wald schon abgeben müssen, dann sollte der Betrag auch jährlich ausbezahlt werden. Dies erachte ich jedoch als unnötig, denn wir haben bis heute zu unseren Wäldern geschaut. Ich sehe nicht ein, warum wir heute einen weiteren Schutz des Waldes brauchen. Eine Studie von Basel hat ergeben, dass der Schweizer Wald in einem sehr guten Zustand ist.
Sollen die Bauern auch nicht «geschützt» werden?
Bei den Bauern ist es etwas anderes: Der Konsument muss sich als erstes überlegen, woher er die Produkte möchte. Sollen diese aus heimischer Produktion oder über Importe aus Australien oder Amerika kommen? Wie wichtig ist zudem die Pflege der Landschaft? Bis heute pflegen diese die Bauern. Wird die Unterstützung dafür vernachlässigt, dann werden die Gäste auch keine gepflegte Landschaft mehr vorfinden und eventuell nicht mehr die Ferien bei uns verbringen.
Wie innovativ kann ein Bauer sein?
Wir haben das Glück, dass heute auf den Höfen noch viele Familien daheim sind. Die Kapazität eines Bauern ist begrenzt. Es darf nicht sein, dass ein Bauer bis zu 18 Stunden arbeiten muss. Die Landwirte versuchen schon heute Modelle wie «Schlafen im Stroh», «Bewirtung der Gäste in ‹Beizlis›» oder «Direktverkauf» umzusetzen, oder sie montieren Sonnenkollektoren. Die Bauern dürfen nicht überinvestieren. Die Investitionen müssen finanziert werden können. Wird das Geld am Mittagstisch zum täglichen Thema, dann ist das kein Familienleben mehr und die Belastung zu gross. Daher müssen die Projekte zum Betrieb passen. Produkte wie Milch oder Fleisch müssen wieder eine Wertschöpfung haben.
In unserem teuren Umfeld (Versicherungen, Krankenkassen, Lebenshaltungskosten…) und mit unserem Wohlstand (den wir alle geniessen), können wir nicht mit dem Ausland konkurrenzieren. Wenn die Landwirtschaft hier nicht geschützt wird und die Produkte ohne Abschöpfung in die Schweiz kommen, dann ist es unmöglich, dass die Bauern überleben. Geht die Anzahl der Bauern zurück, dreht sich die Spirale immer weiter: «Die Landschaft ‹vergandet›, die Gäste bleiben aus».
Sind Sie ein typischer SVP-Vertreter?
Ich bin ein Sachpolitiker. Bei einer Abstimmung schaue ich als erstes, was die beratende Kommission entschieden hat und wie sich dieser Entscheid mit meinen Ansichten verhält. Danach vergleiche ich diese Meinung mit der Gesinnung meiner Partei. Grösstenteils stimme ich dann im Sinne der Partei.
Bei einer so grossen Fraktion muss jeder kämpfen. Ich habe in der Fraktion meinen Platz als Berggebiets-Vertreter eingenommen. Am Anfang musste ich mich schon wehren, dass ich nicht vergessen werde, denn neben Toni Brunner bin ich der einzige Vertreter des Berggebiets in der SVP.
Ich habe einmal – entgegen der Meinung der SVP – bei einer Motion zur Energieeffizienz, die von den Linken eingegeben wurde, zugestimmt. Ich war der Einzige und prompt führte es dazu, dass die Motion ganz knapp angenommen wurde.
Brauchen wir ein neues AKW?
Ich besuche immer wieder Informationsanlässe bezüglich der Energieproduktion und -versorgung. Ich stehe der Atomkraft kritisch gegenüber, denn die Endlagerung ist nach wie vor nicht gelöst. Wir müssen unbedingt das Potenzial an erneuerbaren Energien erweitern und vollständig ausschöpfen. Dies schont die Umwelt und gibt Arbeitsplätze. Es ist bedenklich, wenn gegen die meisten Projekte Einsprache erhoben wird. Wir sollten alle Möglichkeiten ausschöpfen. Reicht dies nicht, dann müssen wir noch ein AKW bauen, denn eine sichere Eigenversorgung steht für mich an erster Stelle. Die Produktion muss in unserem Lande erfolgen (Unabhängigkeit). Dass auch Energie gespart werden muss ist klar. Bei der AKW-Abstimmung werde ich folglich ein Ja in die Urne legen.

Ein Vertreter der Bergbauern.

Seine Frau Maria ist für den Nationalrat eine wichtige Stütze.

Erich von Siebenthal zusammen mit Alt-Bundesrat Samuel Schmied bei einer SVP-Veranstaltung in Saanen.