Die Pommes Frites-Testwoche
Wer jahrelang in denselben Skiort fährt, braucht irgendwann Abwechslung – und wenn sie in der Eintönigkeit liegt. Täglich Pommes mit Ketchup! Ein Pommes-Test gibt eine neue Sicht auf altbekannte Lokale und nicht zu vergessen: Fast Food macht glücklich. Ein Forschungsbericht einer Lenker Stammgäste-Gruppe und das perfekte Rezept für vergnügliche Skiferien.
Um Neujahr fahren wir ins Berner Oberland an die Lenk, den Ort, der für uns dem Paradies auf Erden am nächsten kommt. Dieses Jahr sind es 19 Leute zwischen eins und 73, verteilt auf Ferienwohnungen im kleinen Dorf im Simmental. Manche bleiben die ganze Woche, andere ein paar Tage, es wird Ski gefahren oder nicht, vor allem aber gut gegessen und viel gelacht. So machen wir das seit dreissig Jahren. Alles wie immer? Nein, eine wissbegierige Forschergruppe setzt sich zum Ziel, die besten Pommes von Lenk zu finden. Tagessuppe, Älplermakronen, Rösti – völlig out! Sechs Tage lang bestellen die gastronomischen Spürnasen auf den Berghütten Pommes mit Ketchup und küren am Ende der Woche den Pommes-Sieger von Lenk.
Hahnenmoos: Pommes mit Erektionsproblemen
Erster Tag in der Skiregion Adelboden-Lenk. Fliegende Eistropfen sorgen für irre Regenbögen in mehreren Radien um die Sonne herum. Zum Niederknien und Staunen, wenn nur der Hunger nicht wäre. Im neuen Bergrestaurant Hahnenmoos ist solch ein Betrieb, dass wir uns fragen, wie das früher mit der kleinen Wirtschaft funktionierte. Ganz einfach: Man wusste, es gibt keinen Platz, und ging woanders hin. Sechs Versuchsteilnehmer stürzen erwartungsvoll in die neue Lokalität und quetschen sich an ein Tischende. Die Pommes kommen ziemlich blass daher, und der zweite Eindruck ist kaum besser. Pommes mit Erektionsproblemen, meint Stefan. Zeit ist Geld, meint Martina, jede Sekunde in der Fritteuse kostet. Da reisst auch das schöne Restaurant mit Holz und Natursteinwänden nichts mehr. Das kann heiter werden, doch so viel sei gesagt: «Das Schlimmste haben wir hinter uns».
GastroSuisse, die grösste Schweizer Branchenorganisation für Hotellerie und Restauration, schätzt, dass im Jahr 2009 in der Schweiz 95 Mio. Portionen Pommes Frites verzehrt wurden, also pro Einwohner elf bis zwölf Portionen. Im Berner Oberland sind das 2,8 Millionen Portionen Pommes, rund 85 Prozent davon als Beilage. Macht 7,671 Portionen am Tag – herab gebrochen auf alle Restaurants im Berner Oberland eine überschaubare Zahl und eigentlich Zeit genug, die Kartoffeln ausreichend kross werden zu lassen.
Sillerenbühl: Punkteabzug wegen Ketchup-Preis
Die Probanden glauben an die Pommes als Hauptspeise und kehren ein im Bergrestaurant Sillerenbühl, hoch oben auf einer Kuppe mit grandiosem Blick aufs Wildstrubel-Massiv. Ein gemütlicher Platz unter der Dachschräge, am Nachbartisch ein paar Jungs am Jassen, haarsträubend verstrubbelt. Ines schwärmt von ihren Pommes, ich gebe höchstens eine zwei bis drei. Der Direktvergleich: Sie sind von Teller zu Teller unterschiedlich, aber die besseren sind wirklich richtig gut. Punktabzug für den stolzen Preis von 80 Rappen pro Tütchen No-Name-Ketchup.
Anders als bei unserem genussorientierten Feldversuch nimmt die deutsche Stiftung Warentest die Fritten im Labor unter die Lupe: Fettgehalt, Beschaffenheit des Frittierfetts, Rückstände des potentiell krebserregenden Schadstoffs Acrylamid. Demnach verkauft BurgerKing die besten Pommes, knusprig, mit einem deutlichen Kartoffelgeschmack und wenig Acrylamid. Die Pommes von Ikea erhielten wegen vieler Transfettsäuren nur ein «mangelhaft».
Pommes-Glück auf dem Leiterli
Tag drei: Wir wechseln die Talseite und tummeln uns am Lenker Hausberg. Auf dem Betelberg ist alles kleiner und familiärer. Hier treffen sich unsere diversen Schnell- und Langsam-Skifahrer, die Fotografen, die Spaziergänger. Zu Mittag reserviert die Elterngeneration im Bergrestaurant Leiterli, eigentlich für vier. Doch wie es so geht, letztlich drängen sich im voll besetzten Lokal neun Erwachsene und die heranwachsende Enkelgeneration, schlafend in der Rückenkraxe, um den Tisch. Es ist urig, gesellig. Man könnte auch sagen, es ist eng und dämpfig, zumal als am Nachbartisch das Fondue aufgefahren wird. Hauptsache, die Stimmung ist gut. Bettina, die Serviertochter, hat auf charmante Weise alles im Griff und serviert auch schlechte Nachrichten aus der Küche – nein, bei dem Betrieb könnten sie keine Sonderwünsche erfüllen – mit einem strahlenden Lächeln. Die Note für Bettina ist eine eins mit Sternchen, da sind sich schon vor dem Essen alle einig. Die Pommes kommen mit Kräutersalz oder ganz ohne, zum Salzen am Tisch – Zusatzpunkte je nach Präferenz der Kartoffelexperten. Extras hin oder her: Diese Pommes sind perfekt. Goldgelb und kross, kein Geruch nach Bratfett, schön heiss und kartoffelig im Geschmack. Preis und Menge stimmen. Die Flasche Ketchup steht da zum Tomatenbad nach Gusto. Ein klares Votum: Das sind Referenz-Pommes, an denen müssen sich alle weiteren messen. Pommes sind eine Sicherheit im Leben.
Wo immer man hinkommt, unwahrscheinlich, dass es keine gibt. Unruhe in Sachen Pommes gab es allerdings kurz vor der EURO 2008. Die Branchenorganisation swisspatat warnte wegen stark gestiegener Nachfrage, die Kartoffelvorräte in der Schweiz könnten knapp werden, und forderte zusätzliche Importkontingente. Als Doris Leuthard, damals Landwirtschaftsministerin, die Einfuhr von 5000 Tonnen Kartoffeln genehmigte, war die Sättigung der Fussballfans gesichert.
Bühlberg: Goldgelb und gut
Zurück auf der Metsch, der letzte sonnige Tag. Der erste Einkehr-Versuch in einer kleinen Hütte in Geils (alles geils hier!) scheitert an Überfüllung und hungrig laufen wir im Bergrestaurant Bühlberg ein. Der Mittagsansturm ist vorbei, das Tempo geruhsam, die Pommes kommen heiss aus der Fritteuse. Goldgelbe Farbe und ein guter Kartoffelgeschmack. Stefan sucht das Salz in den Pommes und findet es nicht auf seinem Teller, sondern dem seiner Frau. Der Spitzenreiter bleibt ungeschlagen, aber der Kampf um Platz zwei ist hart. Ist die anschliessende Faulenzerei auf der Sonnenterrasse, mit einer warmen Caotina in der Hand und Blick übers Tal, das Zünglein an der Waage?
Heisses Fett bekommt den Pommes gut, heisse Sommer den Kartoffeln dagegen weniger. Der Deutsche Bauernverband DBV meldete im Juli 2010, dass die Kartoffeln wegen Trockenheit und Hitze nicht gross genug würden für das durchschnittliche Pommes-Idealmass von mindestens 50 Millimetern. Die Stäbchen drohten auf 45 oder gar 40 Millimeter zu schrumpfen.
Sternen: Vierter Platz auf hohem Niveau
Tag fünf ist unser Ruhetag, doch wahre Forscher ruhen nie. Zu Mittag stolpert das Testerteam ins Hotel Restaurant Sternen mitten im Dorf. Es hängt noch die Sylvesterdeko, ein bunter Ballon am andern, wir freuen uns wie Kinder im Bällebad. Die Pommes sind satt gelb und aussen knusprig, innen aber teilweise hohl oder matschig. Zeit ist Geld – hier wird das Prinzip umgekehrt, zu lange im Fett bekommt den Kartoffeln auch nicht. Trotz der Einschränkung: Sehr leckere Pommes und ein vierter Platz auf hohem Niveau. Pommes riechen immer auch ein bisschen nach Geborgenheit.
Geahnt haben wir es immer, doch schriftlich bestätigt es das Journal of Happiness Studies: Fast Food macht glücklich. Pommes und Pizza, Hamburger und Soft Drinks machen Kinder zufriedener, so eine Veröffentlichung von 2009. Sie sind zwar dicker, fühlen sich aber seltener unglücklich.
Wallegg; Knapp auf Platz zwei
Tag 6: Auskehr-Einkehr im Restaurant Wallegg, mit einem guten Dutzend aus dem Urlauber-Rudel. Auf der Speisekarte lachen Rösti, Salate, Fleischgerichte. Mit Todesverachtung bestellen die Sachverständigen zum letzten Mal Pommes mit Ketchup und ignorieren die saftigen Bratwürste auf den Nachbartellern. Die Fritten sind wieder sehr gut in allen Kategorien. Lutz, neu im Team, staunt: «Das sind nicht die besten?». Nein, aber nur ganz knapp. Früher oder später überschwemmt immer ein See von Caotina den Berg von Pommes in den Mägen, so auch am letzten Tag des Experiments. Glücklich und mit vollen Bäuchen pflügen wir durch den Knochenbrecherschnee gen Tal. Das Wetter hat umgeschlagen, der Schnee ist sulzig geworden. Wir lassen’s gut sein – bis zum nächsten Jahr. Kullern der Sauna entgegen, freuen uns auf ein paar Tage Salat und Entschlackungstee. Die Restaurants boten, mit einer Ausnahme, durchweg sehr gute Pommes. Doch es gibt Kartoffeln auf der Welt, die lassen keine Wünsche offen. Das Pommes-Glück liegt auf dem Leiterli. Verena Boos