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Mittelpunkt

«Manchmal braucht es nur die beherzte Aktion eines Einzelnen, um eine grössere Sache ins Rollen zu bringen»

Ernst Zbären wohnt unweit des nördlichen Endes des Flugplatzes St.Stephan. Als Naturfotograf, profunder Kenner des Simmen- und Diemtigtals, als Buchautor, Umweltschützer und unbeirrbarer Kämpfer gegen die Simmental-Autobahn und den Rawil-Tunnel ist er weit übers Tal hinaus bekannt geworden. Anlass des Besuchs der Simmental Zeitung ist der nahende 80. Geburtstag, den Ernst Zbären am 3. März feiert.

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«Manchmal braucht es nur die beherzte Aktion eines Einzelnen, um eine grössere Sache ins Rollen zu b

© Stefan Pfander

Ernst Zbären in seinem Arbeitszimmer mit seiner Digital-Kamera, die den unglaublichen Zoom-Bereich von 24–2000 Millimeter abdeckt.

«Geboren bin ich in Bern», sagt Ernst Zbären, als wir uns am kleinen, mit Schriften und Büchern belegten Küchentisch neben dem Wohnungseingang gegenübersitzen. «Man hielt es für besser, meine Mutter für die Geburt ins Frauenspital zu schicken. Und soweit mir erzählt wurde, musste ein bisschen nachgeholfen werden, damit ich meinen ersten Lebensschrei von mir gab.»

Ernst Zbären wächst als ältestes von drei Kindern mit Bruder und Schwester unter der Obhut von Vater Emil Ernst aus St. Stephan und seiner aus der Lenk stammenden Mutter Elise auf. Er besucht in St. Stephan die Unter- und Oberstufe der Primarschule, tobt sich in der Freizeit gerne mit Gleichaltrigen rund ums Haus aus. «Die Natur war unser Spielzimmer. Was im Wald so ‹umegraaget›, davon nahm ich damals noch wenig Notiz.» An die Kriegsjahre mag sich Ernst Zbären nur vage erinnern: «Dass nachts der Lärm der Bomber zu hören war, ist mir noch im Kopf.»

Entwicklung im Turbo-Tempo

Die Holzwerke Rieder sind der Arbeitsplatz seines Vaters und der Brotkorb für die Familie. Ernst verdient sich als Junge mit Ferieneinsätzen sein Sackgeld. Unglaublich, in welchem Turbo-Tempo die technischen Entwicklungen in diesen wenigen Jahrzehnten stattgefunden haben. Nicht nur in der Holzverarbeitung, sondern auch in der Landwirtschaft reiht sich eine Innovation an die nächste. «Ich erlebte noch das Aufkommen der ersten Motormäher», sagt Zbären. «Das Heu wurde noch mit der Heugabel auf den Wagen geladen.» Die Zeiten haben sich gründlich geändert. Die Fortschritte der Technik haben in der Landwirtschaft eine grosse Arbeitserleichterung bewirkt, dies bei gleichzeitig enormer Steigerung der Produktivität. Zbären: « Die Ästhetik der Kulturlandschaft und die Biodiversität haben allerdings unter dieser rasanten, wachstumsorientierten Entwicklung gelitten. Der Wert einer intakten Umwelt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.»

Von St. Stephan nach Oerlikon

Ein Naturereignis, das Zbären «durch alle Knochen ging», ist das grosse Erdbeben um 1947: «In unserem Haus gab es zu dieser Zeit noch kein fliessendes Wasser. Wir durften die Duschen des Holzwerks Rieder benutzen. Im Moment, als dies gerade der Fall war, ‹erhudelte› das Erdbeben das Tal. Es rumpelte und die Türen der Duschkabinen gingen gespenstisch auf und zu. Seither gab es im Tal nie mehr einen so starken Erdstoss. An der Lenk erlitt die Kirche am Standort des heutigen Verkehrsbüros so schweren Schaden, dass sie abgerissen und durch einen neuen Kirchenbau ersetzt werden musste.»

Für die Fotografie beginnt sich Zbären kurz vor Schulaustritt zu interessieren: «Ich kaufte mir eine Kleinbild-Kamera mit festeingebautem Objektiv.» 1957 verlässt er seine Heimat und absolviert in der Maschinenfabrik Oerlikon eine 4-jährige Lehre als Maschinen-schlosser. «Das war eine grosse Umstellung für mich. Das oft graue Wetter machte mir zu schaffen, und mein Heimweh nach dem Simmental liess sich auch mit dem in Zürich erhältlichen ‹Weissenburger Mineralwasser› nicht stillen.» Ein Vorteil dagegen: Im Lehrlingsheim gibt es eine Dunkelkammer. Hier entwickelt Zbären Filme und stellt Fotoabzüge her. Für eine wöchentliche Rückkehr ins Simmental ist die Fahrt zu weit und der Lehrlingslohn zu gering. Ernst Zbären nutzt die Wochenenden oft für Velotouren.

Das Velo wird früh zu seinem bevorzugten Transportmittel. «Mit dem Auto fährt man an den Schönheiten meistens vorbei, mit dem Velo aber kann man sie erfahren.» Spanien, Italien, Frankreich, Polen, Tschechien, Rumänien, England, Irland und Schottland lernt er über die Jahre im Sattel seines Fahrrades kennen. Der südlichste Punkt ist Gibraltar, der nördlichste die Orkney-Inseln in Schottland. Ja, selbst er sei einmal in einem Flugzeug gesessen: «Im Jahre 2000 flog ich von Bern nach Edinburgh, mit Umsteigen in Amsterdam.»

Nach Abschluss der Lehre und kürzeren Arbeitseinsätzen gehört Zbären im Herbst 1962 als Angestellter des Bundes während mehrerer Jahre zum Betreuerteam der Radaranlage auf dem «Wisshore». Am Westhang liegt die Wildstrubelhütte des Schweizer Alpenklubs SAC und auf der Ostseite dehnt sich die «Plaine Morte» aus. Diese Gletscherfläche schrumpft seit Jahren kontinuierlich. Zbären: «Trotzdem wird es aber noch seine Zeit dauern, bis dieser tote Gletscher weggeschmolzen ist. Am östlichen Teil der Plaine Morte ist das Eis immer noch rund 200 Meter dick. Die Erwärmung bedeutet für unsere Region, dass die Nadelwälder stärker zu Mischwäldern werden – wenn wir der Natur erlauben, sich nach ihrer eigenen Gesetzmässigkeit an den Wandel anzupassen.» Zbären findet es «gut, wird zum Wald geschaut. Schutz bedeutet in der Kulturlandschaft vor allem Pflege.»

Fotografie wird zum Berufsweg

Der Fundus von Natur-, Landschafts- und Pflanzenaufnahmen, den Zbären mit seiner Kamera über etliche Jahre erarbeitet hat, eröffnet ihm 1969 eine neue berufliche Perspektive: In Zusammenarbeit mit dem Verkehrsverein, hält er im Sommer und Winter an der Lenk Vorträge und trägt damit zum vielseitigen Kulturangebot für Gäste und Einheimische bei. Zuerst finden diese Veranstaltungen mit Diaprojektion und Bilderläuterungen im Löwen, dann im Kurhaus und schliesslich während Jahren im Kirchgemeindehaus statt.

Kontinuierlich vergrössert und vertieft Zbären sein Wissen über Botanik, Ornithologie und Geologie der Region. Dieses ruft er in seinen Vorträgen in freier Rede ab. 36 Jahre ist er im Obersimmental für die Berner Wanderwege unterwegs und erneuert die Wegmarkierungen. Wahrscheinlich kennt niemand die Region zwischen Niesen, Stockhorn und Wildstrubel so gut wie er. Lieblingsorte will Zbären keine benennen. Sein 2009 erschienener Bildband «Simmental und Diemtigtal» darf hier erwähnt werden. Er ist Zbärens Hommage an seine engere Heimat.

Jahrelang sind die wöchentlich stattfindenden Vorträge an der Lenk sehr gut besucht. In den vergangenen Jahren wurde der Besucherkreis kleiner, aber: «Ich hatte immer ein interessiertes Publikum, das war für mich und meine Motivation entscheidend.» Durch die Einschränkungen seit Februar 2020 ist auch Zbärens Vortragstätigkeit praktisch komplett trockengelegt. Während wir über die Folgen der nunmehr ein Jahr andauernden Massnahmen sprechen, gleitet mein Blick zum Bildkalender der Raiffeisenbank Simmental-Saanenland, den Zbären bebildert. Aufnahmen einer herrlichen Natur, die alle menschlichen Sorgen und Irrtümer überstrahlen, hoffentlich aber nicht von ihnen ablenken.

Pro Simmental – eine Erfolgsgeschichte

Ein gewichtiges Kapital im Leben von Ernst Zbären ist sein Engagement für den Verein «Pro Simmental». Zbären erinnert sich: «In der Öffentlichkeit wurde die Meinung verbreitet, die Bevölkerung stehe mehr oder weniger einstimmig hinter dem Autobahn-Projekt und dem Rawil-Tunnel. Als die Propaganda für dieses Vorhaben immer stärker wurde, konnte ich allerdings nicht länger schweigen.» Als Zbären im Anzeiger für das Nieder- und Obersimmental ein Inserat schaltet und Leute sucht, «die mithelfen möchten, N6 und Rawiltunnel zu verhindern», melden sich über 320 Simmentaler. «Manchmal braucht es nur eine beherzte Aktion eines Einzelnen, um etwas Grösseres in Gang zu bringen.»

Am 16. Oktober 1973 wird das Aktionskomitee «Pro Simmental» gegründet. Per Ende 1975 erhält es Statuten und wird zum Verein. «N6 und Rawil-Tunnel nie» – so lautete der kompromisslose Slogan von Pro Simmental. Rund 4500 Mitglieder unterstützen den 13 Jahre dauernden Kampf, bis 1986 das Simmental-Autobahnprojekt samt Rawiltunnel durch National- und Ständerat aus dem Nationalstrassen-Netz gestrichen werden.

Zbären hat sich mit seinem Engagement im Simmental nicht nur Freunde gemacht. «Mehrmals wurde versucht, mich mundtot zu machen. An der Lenk wurde sogar Druck gemacht, meine Vorträge zu stoppen. Ich liess mich von Anfeindungen allerdings nicht beeindrucken und handelte in der festen Überzeugung, dass wir hier etwas fürs Tal und für die Zukunft machen.»

Pro Simmental existiert bis auf den heutigen Tag. Die Mitgliederzahl ist auf insgesamt rund 400 Personen und im Simmental auf 150 Unterstützer geschrumpft. Zbären zeigt einige Handvoll Umschläge eines Versandes, die nicht zugestellt werden konnten und deshalb an den Absender retourniert wurden. Zbären: «Früher war auf den Umschlägen noch die neue Adresse vermerkt. Der ‹Service public› hat auch schon bessere Zeiten erlebt.»

15 Jahre im Grossen Rat
Dank seiner Popularität schafft Zbären 1986 als Kandidat der Grünen Freien Liste GFL die Wahl in den Grossen Rat. 15 Jahre setzt er sich in der Kantonspolitik mit Schwerpunkt auf Umweltanliegen ein. Das fällt in die Zeit, als in den Medien das «Waldsterben» zum Dauerthema wird. Hat Zbären seine Ziele in der Politik erreicht? «Wäre mir für jede Niederlage, die ich im Grossen Rat einstecken musste, ein Fünfliber gutgeschrieben worden, hätte sich das in all den Jahren zu einem ordentlichen Batzen summiert.»

Das Partei-Hickhack habe zum parlamentarischen Alltag gehört. Etliche SVP-Grossräte seien jeweils von der Parteileitung «geknüttelt» worden, wenn sie Zbärens Anliegen zugetan waren und noch nicht auf Linie mit dem allgemeinen Partei-Kurs waren.

Ernst Zbären hat sich seit längerem aus der Politik zurückgezogen und ist auch aus der Partei ausgetreten. «Es ‹taget› langsam in etlichen Köpfen – aber es sind immer noch viel zu wenige.» Er spricht davon, dass die Bevölkerung in der kleinen Schweiz jährlich um 70000 bis 80000 Menschen zunimmt. «Es geht um sehr viel mehr als nur um wirtschaftliche Komponenten wie Arbeitsplatzschaffung. Ein Lebensraum erträgt nicht beliebig viele Menschen. Irgendwann führt das zwangsläufig zu einem Verlust an Lebensqualität und zu echten Problemen, die sich nicht mehr länger einfach verdrängen oder schönreden lassen.» Vieles, was den Wählern im Vorfeld der Wahlen jeweils so versprochen wird, bezeichnet Ernst Zbären ernüchtert als «brandschwarzi Lugi und Augenwischerei».

Faszination und Herausforderungen des digitalen Zeitalters

Im Arbeitszimmer von Ernst Zbären, vor dem Bücherregal stehen auf einem Korpus zwei silberfarbene Pentax-Kameras aus Zbärens fotografischen Anfängen. An der Wand zur Linken sind säuberlich geordnet die Dias aus analogen Zeiten in Schachteln gelagert. «Heute, im digitalen Zeitalter, hat das Hundertfache dieser Bilder auf einer kleinen Festplatte Platz und dabei wird nur ein Bruchteil des Platzes meiner Diasammlung beansprucht», sinniert Zbären.

Für das abschliessende Foto zeigt Ernst Zbären wenig Hang zu Nostalgie und nimmt sein aktuellstes Kameramodell zur Hand: Eine Nikon Coolpix. Auch sie hat wie seine erste Kamera ein einziges Objektiv – allerdings heute mit eingebautem Zoom von unglaublichen 24–2000 Millimetern. Mit dem optisch-elektronischen Wunderwerk von Kamera gelingen Weitwinkel-Bilder von blühenden Alpenrosen mit dem Oberlaubhorn im Hintergrund, aber auch formatfüllende Aufnahmen vom Mond, auf der Details von Kraterlandschaften zu erkennen sind.

Ernst Zbären meint mit trockenem Humor: «Die digitale Welt, mit der wir über das Mobil-Telefon und seinem kleinen Display pausenlos verbunden sind, scheint die Macht zu haben, unsere Aufmerksamkeit so uneingeschränkt auf sich zu ziehen, dass zu befürchten ist, dass die Menschen bald nur noch mit Knickhälsen geboren werden.»

Erstellt am: 03.03.2021

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