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Spitalstandort-Initiative

Nein-Propagandisten argumentieren mit unbegründeten Behauptungen!

Von Dr. med. Nadine Kleinebekel

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Nach der Lektüre von einigen Inseraten in sozialen Netzwerken wie auch in grösseren Zeitungen frage ich mich einmal mehr: Warum sind nicht auch Politiker oder Redakteure verpflichtet, im Rahmen einer gewerbsmässigen Tätigkeit ihre öffentlichen Aussagen und Haltungen an deutlich mehr sachlichen Fakten und realistischen Daten zu orientieren? Ansonsten sollte sich zumindest im Kleingedruckten ein Warnhinweis für die unbedarfte Bevölkerung zu den «Risiken und Nebenwirkungen» befinden, der klarstellt, dass es sich überwiegend um persönliche Ansichten und schlichte eigene Meinungen handelt, die sich auf gar keine beweisbaren Tatsachen stützen, diese teilweise sogar ausser Acht lassen.

Kostenexplosions-Befürchtung

Bei Annahme der Spitalstandort-Initiative wird z.B. eine «Kostenexplosion» befürchtet.

Warum? Trotz der 13 Spitalschliessungen seit 1999 konnten keine Kosten im Gesundheitswesen des Kanton Bern eingespart werden, sondern im Gegenteil, diese steigen immer weiter und liegen mittlerweile an zweithöchster Stelle im Gesamtschweizervergleich.

Warum sollte in Zukunft der gleiche Weg (mittels Leistungsabbau) zu einem anderen Ziel führen?

Umstrukturierung könnte ein Stichwort sein, denn man befürchtet die «Zementierung» von nicht vollumfänglich genutzten Strukturen in kleineren Spitälern. Brauchbare Vorschläge zu alternativen Herangehensweisen liegen leider bis heute nicht vor.

Vielleicht auch deshalb, weil Personen, die z. B. die Spitalstandort-Initiative und andere Bemühungen ablehnen, gar keinen Einblick in die kritisierten Strukturen haben und sich selten die Mühe machen, sich entsprechende Kenntnisse anzueignen oder mit betroffenen Regionen in persönlichen Kontakt zu treten.

Der irrige Fachkräftemangel

Das nächst-häufig angeführte Argument: Der sogenannte Fachkräftemangel.

Besteht dieser wirklich? Gibt es Zahlen? Wo? Wie wird er bemessen und wer beurteilt es, welche Gegenmassnahmen sind geplant? Oder gäbe es genug Fachkräfte, nur weichen diese mangels Attraktivität der Angebote in andere Regionen oder Branchen aus?

Ich persönlich habe bei keinem meiner bisherigen Arbeitsplätze einen echten Mangel an Kollegen bemerkt. Zwar ist es nicht immer einfach, entsprechend qualifiziertes Fachpersonal zu finden (Grösse des Spitals dabei aus meiner Erfahrung gänzlich irrelevant), aber bei motivierter Suche und passendem Angebot fanden sich bis heute immer Personen mit der gesuchten Fachausbildung.

Dem Argument es läge ein Fachkräftemangel vor, mit einer Zentralisierung, optimierten Ausnutzung aller Ressourcen bei gleichzeitiger Kostenreduzierung begegnen zu wollen, erscheint mir schon im Hinblick auf das nächste Argument, nämlich die herrschenden Marktgesetze von Angebot und Nachfrage widersprüchlich.

Wie möchte man die gefühlt spärlich vorhandenen Fachkräfte zu schlechteren Konditionen mit längerer Arbeitszeit, mehr zu betreuenden Patienten und «höheren Qualitätsanforderungen» bei weniger Lohn in die zentralisierten Spitäler rekrutieren?

Die Mähr der Qualitätsbehauptung

Wie sind diese definiert? Was ist medizinische Qualität? Die angeblich mangelnde Qualität in kleineren Spitälern wegen «zu geringer» Fallzahlen, wird zwar immer wieder angeführt, was aber diese Qualität bzw. deren Mangel genau ausmacht und was konkret befürchtet wird, verschweigt man in allen Auseinandersetzungen, weil es eben genau dazu keine verlässlichen Daten und schon gar keine Beweise gibt.

Auch bei messbaren Faktoren (Infektionen im Spital, besonders nach Operation, Re-Hospitalisationen wegen der gleichen Erkrankung, Dauer und Kosten bis zur Diagnosefindung, Dauer und Kosten bis Therapieende, Grösse und Ausbildungsstand des Behandlungsteams usw.) finde ich keine vergleichbaren Fallzahlen im Kanton Bern, obwohl dieser nach eigenen Auflagen dazu verpflichtet wäre.

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich aber guten Gewissens behaupten, dass zumindest bei den Spitälern, in denen ich selbst angestellt war (vom sogenannten Zentrum der Maximalversorgung in Deutschland bis zum Regionalspital Zweisimmen), die kleinen Spitäler ganz sicher nicht schlechter abschneiden, als die Grossen.

Die Gründe liegen für den, der sich nur etwas mit der Thematik befasst hat, auf der Hand: Ein Spital mit 10000 Fällen im Jahr und 10 Fachärzten hat zwar nominal doppelt so viele Patienten wie eine Klinik mit 5000 vergleichbaren Fällen, aber bei nur drei Fachärzten hat dieses Behandlungsteam im kleineren Spital pro Arzt fast doppelt so viele Patienten zu betreuen. Also ganz gegen die aufgestellte Behauptung haben Kollegen in kleineren Spitälern oft eine höhere Fallzahl, da sie sich auf ein kleineres Team aufteilt. Dazu kommt, dass sich das Team und häufig sogar Arzt und Patient besser kennen, damit kommt es zu weniger Verwechslungen und kürzeren Dienstwegen, die einen oft schnelleren und effizienteren Behandlungsablauf ermöglichen.

Jetzt noch der entscheidende tatsächliche Qualitätsunterschied: In kleineren Spitälern behandelt genau aus diesem Strukturgrund der Facharzt (Chef-, Leitender oder zumindest Oberarzt) seine Patienten selbst, sie werden nicht teils ausschliesslich von in Ausbildung befindlichen Assistenzärzten betreut, die aus strukturellen (Zeitmangel) und naturgegebenen (Erfahrungsmangel) Gründen nicht durchgehend die optimale Behandlungsqualität liefern können.

Das viel zitierte Qualitätsargument in Landspitälern von Personen, die medizinischen Fragestellungen sonst ganz fern stehen, ist aus meiner Sicht also genauso logisch und fundiert, als würde ich als Humanmedizinerin, die von Land- und Milchwirtschaft keine Ahnung hat, trotzdem behaupten, dass ein Bauer mit weniger als 100 Kühen im Stall eine schlechtere Milchqualität liefert als jemand mit 1000 Kühen, der sie überwiegend von unerfahrenen Stallburschen betreuen und vollautomatisch melken lässt… dass eine Zeitung bei kleinerer Auflage einen minderwertigen Journalismus hätte oder dass ein Staat aufgrund vergleichsweise geringer Bevölkerungszahl eine mangelnde Qualität, Erfahrung und Routine seiner Politiker befürchten müsse.

Erstellt am: 24.11.2016

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Kommentare
Markus Schmid 24.11.201613:56 Uhr

Ein spannender Kommentar, der den Nagel auf den Kopf trifft. Es gibt mehrere Studien die belegen, dass kleinere Spitäler günstiger sind als grosse. Sind die Spitäler auf dem Land, so sind auch die Baukosten wesentlich tiefer: Parkplätze statt teure mehrstöckige Einstellhallen wegen Platzmangel und tiefere Baulandkosten.


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